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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck
Autoren: Georg Lentz
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Teil 1
    Ich wohne in einer Laube der Kolonie Tausendschön. Am Gartentor ist das Schild mit dem Namen meines Vaters fast unleserlich geworden: E. Kaiser. Mit Lochverfahren gestanzte Schnörkelschrift, von Grünspan verwischt. Das E. steht für Eduard. Genannt wurde mein Vater Ede. Mir haben meine Eltern den schlichten Vornamen Karl gegeben. Karl Kaiser. Meine Mutter, Minnamartha, rief mich »Menschlein«, was ich hasste. Trotz aller Ereignisse, die mein Leben immer wieder in neue Richtungen drängten, hause ich immer noch in dieser Laube. Sie ist winterfest, besitzt massive Wände. Ich bin glücklich hier. Aber wenn ich den sozialen Aufstieg um mich herum sehe – am Rand der Kolonie entstand inzwischen ein Bungalowdorf -, so keimt manchmal die Hoffnung in mir, dass ich aus meiner Laube eines Tages in eine Sozialwohnung ziehen kann. Manchmal scheint es, als würde sich ein Weg zeigen für meine Flucht aus der Armseligkeit. Denn die Stadtverwaltung plant, auf dem Koloniegelände Hochhäuser zu errichten. Alle paar Monate kommen Leute mit rotweißen Messlatten, rammen sie ein. Aber ein paar Tage später nehmen andere die Messlatten wieder fort.
    Vielleicht wird es also nichts, vorläufig, mit den Hochhäusern. Und eigentlich ist auch eine Laubenkolonie viel schöner als das großartigste Hochhaus mit Marmorvestibül und Müllschlucker. Mein Nachbar rechts hat über demGartentor Bogen aus grün gestrichenen Gasrohren angebracht. Im Sommer ranken dort Kletterrosen. Wie ich inzwischen weiß, sind es Crimson Rambler. (Die Sorte hat sich leider als anfällig gegen Mehltau erwiesen.) Wir alle haben in den Wintergärten ausrangierte Badewannen oder Tonnen aufgestellt, in die wir das Regenwasser vom Dach leiten, zur Bewässerung der Pflanzen. Im Mai ernten wir die ersten Radieschen, rot und frisch. Sie knacken, wenn man hineinbeißt, und brennen die Zunge. Und im Sommer sitzen alle draußen, die Frauen kühlen Bierflaschen in Emailleeimern und bringen selbst gebackenen Bienenstich.
    Heute benutzen die meisten Kühlschränke. Ich nicht. Denn als Ede, mein Vater, von Beruf erst Taxifahrer, dann Taxenbesitzer, die Laube baute, sorgte er für einen großen, kühlen Keller. Im Fußboden der Veranda ist eine Falltür eingelassen, und eine hölzerne, etwas wackelige Stiege führt hinunter.
    Mit diesem Keller hängt eine meiner frühesten Erinnerungen zusammen. Fünf Jahre alt mag ich gewesen sein, als ich meine erste Expedition in den kramgefüllten Keller unternahm, auf der Suche nach zwei schwarzen, gelb gebordelten Kavalleriestiefeln, deren genaues Aussehen mir längst bekannt war. Durch ein Bild. In meinem Zimmer nämlich hing ein ziemlich großer Vierfarbdruck, Reminiszenz an die aktive Dienstzeit meines Vaters als Kavallerist. Es zeigte Ede in dunkelblauer Paradeuniform, zu der eben die gelb gebordelten Stiefel, hier augenscheinlich auf Hochglanz poliert, gehörten. Im Hintergrund unterstrich ein tänzelnder Apfelschimmel die hippologische Beziehung. Nur Edes Gesicht war schwarz-weiß. Ein aufgeklebtes Foto. An den Rändern löste es sich.
    Die Stiefel also, vom Vater auf dem Erinnerungsbild getragen, wollte ich im Gerümpelverlies unter der Verandafinden. Auf den unteren Stufen, die auch bei eingeschaltetem Licht im Schatten bleiben, versperrten leere Pappschachteln, eine ausrangierte Teppichkehrmaschine und ungefüge Fahrradteile den Weg. Hier arbeitete ich, fünfjährig, muskelarm, und behindert durch eine Haarsträhne, die mir immer wieder über die Augen fiel. Schwitzend räumte ich, um durch Halden unnützer Gegenstände zu den Langschäftern vorzudringen, ein Kind auf der Suche nach zwei Kavalleriestiefeln, schwarz mit gelber Bordelung.
    »Menschlein«, rief Minnamartha spitz von der Küche her, weil eine Pyramide aufgetürmter leerer Marmeladeneimer scheppernd zusammenbrach, »Menschlein, bist du da unten?«
    Ich antwortete nicht. Eine Minute lang, bis es der Fragerin da oben zu langweilig wurde und ihre Schritte sich zum Wohnzimmer hin entfernten.
    Weiter schürfte ich im Müll, unter möglichster Vermeidung von Geräuschen nun, und fand das Stiefelpaar, in einer Kellergasse, die eigentlich städtischen Ablesebeamten Passage zur Gasuhr gewähren sollte. Ich zerrte und zog. Der eine Stiefel trug noch einen Ziersporn mit zackenlosem Rädchen, das sich in den Fugen der Gasuhrabdeckung verfing. Aber ich rettete ihn. Rasch trug ich meine Beute ans Tageslicht. Die Schäfte waren knochenhart und brüchig und ohne allen Glanz.
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