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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck
Autoren: Georg Lentz
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Nachmittag kamen die Ausläufer der Stadt in Sicht. Hier fuhr schon die S-Bahn. Aber ich durfte sie nicht benutzen, jeder hätte mich gefragt, was ich im Sack transportierte. Kurz vor dem Ende der Autobahn verließ ich die Betonpiste. Das Schwein wurde wieder unruhig. Mit schlenkerndem Lenker fuhr ich weiter. Ein Schild: Sie verlassen den russischen Sektor. Ein Schlagbaum, russische Posten. Eben wurde der Schlagbaum hochgelassen, ein Auto fuhr durch. Ich setzte mein dümmstes Grinsen auf, radelte dem Auto hinterher. Der Posten hielt mich nicht auf. Winkte mir sogar, mich zu beeilen. Hinter mir krachte der Schlagbaum herunter.
    An der langen Prachtstraße, die zum Vorort hinausführte, standen alle fünfhundert Meter Doppelposten. Kaugummi mümmelnde GI’s. Aber für Schweinetransporte interessierten sie sich augenscheinlich nicht. Ich verbreitete eine Fahne von Gestank. Der Sack war von Schweinemist durchtränkt. So ganz geheuer war dem Borch die Reise immer noch nicht.
    Endlich: Kolonie Tausendschön! Kein Mensch in Sicht. Das Gartentor stand offen. Ich bog ein, fast streifte derSack den Pfosten. Bremsen, absteigen. Großmutter kam herbeigestürzt, um mich, einen Helden in Sachen Borchüberführung, zu begrüßen. Zu loben. Dachte ich!
    »Himmel«, schrie Großmutter, »der Borch ist da.« Sie zog den Sack aus der mistdurchtränkten Tasche, eilte, den zappelnden Borch vor sich haltend, in den Schuppen, ich hinterher. Minnamartha kam aus der Veranda. »Ist er da? Ist er da?«, rief sie. Auch sie meinte den Borch.
    Der Borch schoss aus dem Sack, purzelte im Koben umher, grunzte wild. Großmutter schüttete Fressen in den Trog, der aus dicken Bohlen von ihr gezimmert war. Der Borch schaute noch einmal vorwurfsvoll nach oben. Mich an, wahrscheinlich. – Dann begann er zu fressen. »Er frisst«, jubilierten die Frauen.
    »Stehohren hat er auch keine«, bemerkte ich. Großmutter drehte sich halb nach mir um. »Das habe ich bereits bemerkt«, sagte sie. »Mit so einem Borch hättest du auch gar nicht kommen brauchen!«
    Dann schauten sie beide wieder selig zu, wie der Borch fraß. Ich ging in die Laube und wusch mir die Krusten von Schweinedreck herunter.
    Alles drehte sich, das nächste Dreivierteljahr lang, um den Borch. Beim Frühstück meldete Großmutter den Zustand des Borstentieres: ob es gut geschlafen hatte, wie viel es gewachsen war. Gab dann ihre Befehle, woher Futter zu beschaffen sei. Zwei Kolbenhiebe ins Kreuz hatte ich bis zum Herbst verpasst bekommen, bei den vielen Expeditionen zu amerikanischen Abfallhaufen, um dem Borch die beliebten Eierkuchen, gekochten Mais und andere Leckereien zu sichern, mit einer ehemaligen Kohlenschaufel in Blecheimer zu füllen. Die Amerikaner sahen es nicht gerne, wenn ich in ihren Abfällen wühlte. Wahrscheinlich dachten sie, wir essen das Zeug selbst, und das verstieß selbst gegenüber Besiegten gegen ihre Hygienevorstellungen.
    Auch das Haus Fanselow lieferte von seinem Überfluss. Gustavchen war als Einziger eingeweiht, denn er, als Koch im Besitz scharfer Messer, sollte eines Tages den Borch schlachten. Gegen Beteiligung an Wellfleisch, Speck und Blutwurst.
    Es waren der Frühling, der Sommer und der Herbst des Schweines.
    Die Jalta-Macker vollendeten ihr Werk: Sieg über Japan, endgültige Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen, Teilung Berlins in vier Sektoren, Oberhoheit der Militärregierungen, Entnazifizierungsgesetz. Bei uns aber regierte das Schwein. Wuchs. Legte sich später essbare Speckschichten zu. Der Winter kam, manchmal waren die Pfannkuchen jetzt auf dem Müll festgefroren. Man musste gleich nach dem Mittagessen ausrücken, so lange die Beute noch warm war. Abenddämmerung hätte ich vorgezogen. Manchmal kam Gustavchen und warf einen prüfenden Blick auf den Borch. Gegen Gustavchen erschien uns das Schwein allerdings mager. Gustavchen leckte sich regelmäßig die Lippen, wenn er aus dem Schuppen kam. »Der wird uns schmecken«, sagte er. »Hoffentlich hat er keine Trichinen!« Daran hatten wir noch nicht gedacht. Für eine Schwarzschlachtung bekam man natürlich keinen Tierarzt zur Trichinenschau. Genoss man aber Trichinenfleisch, war einem eine Tuberkulose so gut wie sicher.
    Eine fürchterliche Geschichte! »Man muss auch Vertrauen haben«, sagte Großmutter. »Nur wenige Schweine haben Trichinen. Muss ja nicht unser Borch sein.« Minnamartha war ein bisschen blass um die Nase, aber sie sagte nichts. Sie klingelte übrigens jetzt auch nicht mehr.
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