Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
die sich an Minnamartha vorbeidrückte. Ganz zum Schluss kam auf dem Weg Wanda Puvogel an, die ein Fahrrad schob, am Lenker eine Emaillemilchkanne. Sie hatte Schwierigkeiten, das Fahrrad an Minnamartha vorbei über die Sandberge zu zerren, aber es gelang ihr schließlich, unter den überaus wachsamen Blicken des Pfarrers. Es war gewiss seine erste Beerdigung mit Fahrrad.
    Der Leichenschmaus in der Laube fiel, dank der Reste von unserem Borch, überaus üppig aus, aber Stimmung wollte nicht aufkommen. Gustavchen und Agathe saßen auf Millies Feldbett, die Decken waren inzwischen zusammengelegt. Agathe trug eine schwarze Federboa und hatte ihren Mund ungeheuer groß gemalt. Ernie Puvogel trug zu schwarzem Wams seine grünbraunen Hosen von der Organisation Todt, andere hatte er nicht. Gigi trug einen schwarzen Trauerflor um einen hellen Regenmantel, den sie nicht ablegte. Ihre feuerrote Mähne stand über ihrem schmalen Gesicht, auf den ordentlichen Bubikopf hatte sie längst verzichtet. Buseberg roch nach Schuhwichse, er hatte wohl den Glacéhandschuh seiner Kunsthand damit bearbeitet. Millie war nicht mitgekommen, Tante Linchen natürlich auch nicht. Aber sie hatte ja jetzt ihren Adolar für sich. Oder wenigstens das, was die Würmer von ihm übrig gelassen hatten. Folgen eines rostigen Nagels!
    Augenscheinlich fehlte Großmutter auf Großmutters Beerdigung, ohne sie kam die Gesellschaft nicht recht in Schwung. Einer nach dem anderen ging, Entschuldigungen stammelnd. Gustavchen fragte Gigi, ob sie nicht noch etwas unternehmen sollten, Agathes Tintenkopf käme auch, aber Gigi sagte erbost: »Du hast wohl nicht alle Hühner aufm Balkon!«
    Weg war sie, weg waren auch Gustavchen und Agathe.»Ja, ja«, sagte Minnamartha. »Jetzt wird es wohl sehr einsam bei uns werden!«
    Es wurde einsam. Minnamartha vergrub sich immer mehr, sah selten einen Menschen. Ich ging manchmal zu Gigi und ihrem Bruder hinüber, Kartenspielen. Friedrich hatte das Kriegsende überlebt, indem er Uniform und Orden verbrannte, sich die Haare grau färbte und als alter Krüppel unbehelligt und oft beschenkt zwischen den Russen umherstolperte. Jetzt brauchte er keine Krücken mehr, nur noch einen Stock. Friedrich pokerte riskant um Amizigaretten und Rosinenpudding aus Care-Paketen, den er leidenschaftlich gerne aß. Gigi und ich sahen uns manchmal in die Augen. Die Szene auf dem Teppich erwähnte keiner von uns. Manchmal sprachen wir von Ingrid, die verschollen war, seit sie in den Westen geflohen war.
    Eines Tages, es war Frühling und wir wühlten den Garten um, weil Minnamartha Kartoffeln setzen wollte, lehnte Othmar am Gartenzaun. Blond und schön, in schicker Windjacke. »Othmar?« Ich bat ihn herein. »Wo kommst du her?«
    »Das ist wohl eure Standardfrage, was? Komme soeben aus Kalifornien.«
    Othmar war, auf dem Marsch gen Westen, von Amerikanern aufgegriffen worden, die ihm seine Altersangaben nicht glaubten, ihm eine grüne Jacke mit den Buchstaben PW (Prisoner of war) anzogen und ihn per Schiff und Bahn nach Kalifornien abschoben. Dort brauchte er zwei Jahre, bis man seinen Beteuerungen glaubte, er sei nicht Soldat gewesen. Augenblicklich tat er allen leid, man reichte ihn in den Familien der Lagerbewacher herum, kleidete ihn neu ein, schenkte ihm massenweise Kaugummi und Zigaretten und beförderte ihn auf Staatskosten nach Europazurück. Mit dem alliierten Interzonenzug legal in unsere Stadt eingereist, ausgestattet mit falschen Papieren übrigens, denn die Russen behielten sich vor, die Militärzüge nach Berlin zu kontrollieren, und sie hätten Othmar ohne Zweifel kassiert. Die Papiere musste er wieder abgeben.
    »Schade«, sagte Othmar. »So ein US-Ausweis würde sehr nützlich sein.«
    Othmar hatte nicht im Sinn, zu arbeiten. Er betätigte sich bald auf dem schwarzen Markt, hatte Amerikaner zu Freunden und machte Geld wie Heu. Abends hockte er in Bars. Wir verloren ihn bald wieder aus den Augen. Denn nun waren wir ja wieder Laubenleute, und die Bewohner der Siedlung verkehrten wieder nicht mit den Tausendschönchen. Allerdings hörten wir nach einigen Monaten, dass Othmar sein Leben durch ein tollkühnes Abenteuer gewandelt hatte. Niemand aus der Zivilbevölkerung durfte damals die Stadt verlassen. Othmar gelang es trotzdem, auf demselben Weg, den er gekommen war. Nur reiste er diesmal nicht im alliierten Zug, sondern unter ihm! Othmar schnallte sich heimlich mit Gurten unter das Achsgestell eines Waggons und machte die Reise unentdeckt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher