Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
Böschungen wieder hinan, aber ich kam schnell voran. Traf niemanden. Kein Mensch fragte mich, wo ich hinwollte. Die Autobahn erschien mir ungeheuer breit. Und endlos. Am Abend war ich nahe bei der Kreisstadt. Von der Betonbahn bog ich ab auf einen Feldweg. War nach zwanzig weiteren Minuten, bei Einbruch der Dunkelheit, im Dorf.
    Ingeborg war noch schöner geworden. Und diesmal war kein Werner Pethmann dabei! Johanna hockte mit Margot, Ziethens Verlobter, in der Küche. Tatsächlich stand wieder eine Flasche Schnaps auf dem Fensterbrett! Alle küssten mich. »Wo sind Ziethen und Blücher?«, fragte ich. Lange Gesichter. »In russischer Gefangenschaft. Aber sie haben geschrieben. Sie sind beide im selben Lager.«
    Onkel Willi fluchte auf die Planwirtschaft. Ein Teil seiner Äcker sollte enteignet werden. Wie ich erfuhr, hatte er es der – allen unerklärlichen – Fürsprache seiner polnischen Landarbeiter zu verdanken gehabt, dass er davongekommen war. Tante Anna war freundlich wie immer, aber die Zeit der Streuselkuchen war vorbei. Fuckruschen war gestorben, begraben auf dem Kirchhof des Dorfes. Pferde gab es keine mehr. Traktoren mussten von der MAS, der Maschinenausleihstation, geliehen werden. Kein Jagdhund im Flur, keine Schrotpatronen mehr auf dem Paneelbrett.
    »Die Schweine«, sagte Ingeborg, »sind in einem anderen Hof. Wir können heute Abend noch hinüberfahren.« So radelten wir durch die Nacht, Ingeborg vorneweg, über Feldwege, eine halbe Stunde lang. Es roch nach Frühling, die Luft war noch kalt. Über uns Sterne. In der Stadt sieht man sie ja nicht. Oder beachtet sie nicht.
    Ein paar Rauchfahnen von Holzfeuern hingen in der Luft, die Öfen heizten sie in manchen Häusern, denn nachts war es noch kalt.
    Kaisers Schweine waren im Stall eines Flüchtlingshofes untergebracht, der nun leer stand, wenn man davon absah, dass eine alte Frau in einem Kämmerchen wohnte, Flüchtling auch sie, aus Ostpreußen, die nun Kaisers Schweine fütterte. Nur keins mit Stehohren, darauf musste ich morgen früh achten! Schweine mit Stehohren werden nicht fett, hatte Großmutter gesagt.
    Wir lehnten die Fahrräder an die Hauswand. Die alte Frau tauchte nur kurz auf, Ingeborg sagte irgendetwas zu ihr, dann verschwand sie wieder in ihre Kammer. Wir gingen in die Wohnstube. Licht gab es nicht. Ingeborg zündete eine Kerze an. »Neben dem Ofen ist Holz«, sagte sie. Ich machte ein Feuer an, aber es wurde lange nicht warm, der Kachelofen brauchte Stunden, bis er sich erwärmte. Ein ovaler Tisch stand in der Stube mit einer grünen Samtdecke darauf, ein Sofa mit geschwungener Lehne, auch in Grün, zwei dazu passende Sessel. In der Ecke ein großes Bett mit karierten Plümos.
    Ingeborg trug wieder Stiefelchen. Ob es noch dieselben waren? Alt genug sahen sie aus. Wir besprachen die Schweinefrage, ich erwähnte das Stehohrproblem. Ingeborg lachte. »Ich werde euch schon keinen Mickerling andrehen. Hast du das Geld mitgebracht?«
    Ich zählte die Scheine auf den Tisch, die mir Großmutter für diese Transaktion ausgehändigt hatte. Eine ganze Menge Geld, Reichsmark. Die war ja wenig wert. Dazu fünf Schachteln Amizigaretten, auch hier die krisenfeste Währung. Nebenan rumorte die alte Frau in ihrer Kammer. »Schläft sie nie?« – »Doch, bald. Sie muss ja um fünf wieder raus.«
    Endlich Stille. Es wurde ein bisschen wärmer in der Stube. Ich beäugte das Bett. Sollte ich da drin schlafen? Oder Ingeborg? Und wo war noch ein Bett?
    Es war keines da. Ingeborg pustete die Kerze aus, zog das Kleid über den Kopf. Schnell lagen wir nebeneinander unter dem Gebirge von Plümo. Meine Hand ertastete Baumwollenes. Hemdchen, Höschen. »Tu das nicht«, sagte Ingeborg. »Gute Nacht.« Ich küsste sie. »Gute Nacht.«
    Von Schweinen träumte ich, fetten Muttersauen. Wachte auf, weil die alte Frau wieder in der Kammer rumorte. Schon Morgen? Es war aber noch ganz dunkel. Neben mir schlief Ingeborg. Atmete ruhig. Ich überlegte, was Werner Pethmann wohl an meiner Stelle getan hätte. Zwischendurch fiel ich wieder in Halbschlaf, der Traum von der dicken Muttersau kehrte immer wieder.
    Halbwach, dachte ich an einen Schulausflug, den wir als Zweitklässler unternommen hatten zu einer Schweinemastanstalt, Schweinezüchterei wohl auch, denn Mitschüler Kalle Knebel durfte auf einem riesigen Eber reiten, der ihn abwarf. Kalle Knebel stürzte in den Morast und es dauerte eine Weile, bis wir ihn mit Heuwischen abgeputzt hatten. Notdürftig, die Mutter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher