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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Di Fulvio
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    D er Dreckkarren, der im Stadtbezirk Sant’Angelo gemeinhin etwas derber »Scheißekarren« genannt wurde, kam einmal die Woche vorbei. Und zwar immer montags.
    An diesem Montag schob sich der Dreckkarren nach fünf Tagen ununterbrochenen Regens nur mühsam durch die enge Gasse Vico della Pescheria, ab und an schrappten die Naben der Räder an den Hauswänden entlang. Die sechs Sträflinge, die am Geschirr des Karrens angekettet waren, versanken bis zu den Knöcheln im Schlamm und stöhnten vor Anstrengung, wenn sie wieder einmal die Räder aus tiefen Löchern in der Straße herauswuchten mussten. Ihre dicken, zerrissenen Hosen aus schlechter Wolle waren bis über die Leisten verdreckt. Vor dem Karren gingen zwei weitere mit Ketten aneinandergefesselte Sträflinge, deren Aufgabe es war, die mit Abfällen und Exkrementen gefüllten Eimer vor den Haustüren oder in den Innenhöfen einzusammeln und sie in den riesigen Bottich auf der Ladefläche des Karrens zu entleeren. Die acht Sträflinge wurden von vier Soldaten überwacht, je zwei gingen vor und zwei hinter ihnen.
    Hinter dem Karren hatte sich eine kleine, bunt gemischte Menschenmenge angestaut, mehr Fremde als Einheimische, was in der Heiligen Stadt keine Seltenheit war: zwei deutsche Gelehrte mit schweren Büchern unterm Arm, drei Nonnen, die mit gesenkten Köpfen voranschritten, wobei die Spitzen ihrer mächtigen Hauben sich nach oben wölbten, ein Sarazene mit einer Haut so dunkel wie geröstete Haselnüsse, und zwei spanische Soldaten. Letztere trugen die typischen Beinkleider in den Landesfarben, ein Hosenbein gelb und das andere rot, und sie hielten die Augen beim Laufen halb geschlossen, damit sich ihre Kopfschmerzen nach der durchzechten Nacht nicht noch verschlimmerten. Sie bangten, dass sie noch rechtzeitig in ihr Quartier kämen, um nicht als fahnenflüchtig zu gelten. Unter der Menge war sogar ein Inder mit Turban, der ein laut brüllendes Kamel hinter sich herzerrte und vermutlich zu dem Zirkus am anderen Tiberufer wollte, sowie ein jüdischer Kaufmann, den man an seinem vom Gesetz vorgeschriebenen gelben Hut erkannte. Und allen stand derselbe angeekelte Ausdruck im Gesicht wegen des Gestanks, der sogar noch zunahm, je mehr sie sich der Piazza Sant’Angelo in Pescheria näherten, denn nun gesellten sich zu den Ausdünstungen des Dreckkarrens noch die der Abfälle des Fischmarkts, die seit sechs Tagen auf dem Boden vor sich hin faulten.
    Als sie endlich den Platz erreicht hatten, überholte die angestaute Menge den Karren, und die Leute zerstreuten sich in dem Menschengewühl auf dem Platz vor der Kirche Sant’Angelo in Pescheria.
    Auch der Kaufmann, sein Name war Shimon Baruch, beschleunigte seinen Schritt und blickte sich ständig ängstlich um. Er hatte soeben auf dem nahegelegenen Seilmarkt mit dem Verkauf einer großen Partie geflochtener Taue, die vor Kurzem per Schiff im Stadthafen Ripa Grande eingetroffen war, ein ausgezeichnetes Geschäft abgeschlossen und dafür statt der üblichen Kreditbriefe die gesamte Summe in bar erhalten. So lief er nun gebückt vorwärts und zog den Mantel mit beiden Händen fest um sich, aus lauter Sorge, dass ihm der Beutel voller Münzen an seinem Gürtel in den Straßen Roms abhanden käme.
    Shimon Baruch fiel ein Würdenträger aus irgendeinem exotischen Land ins Auge, der einen mächtigen gezwirbelten Schnurrbart trug und von zwei riesigen dunkelhäutigen Männern eskortiert wurde, an deren Seiten prächtig verzierte Säbel mit Griffen aus Elfenbein baumelten. Er bemerkte außerdem einige Gaukler mit olivfarbener Haut, wahrscheinlich Makedonier oder Albaner, dann ein Grüppchen alter Männer, die auf Korbstühlen vor ihren Behausungen saßen und in einer Holzkiste auf dem Boden würfelten, und schließlich drei arme Frauen, die um die Marmortheken der Fischverkäufer strichen, obwohl dort nur mehr wenige Weidenkörbe mit Makrelen aus Fiumicino und Süßwasserbarschen aus dem Braccianosee standen. Die Frauen wühlten in den Abfällen auf dem Boden, auf der Suche nach dem Kopf oder Schwanz eines Fisches, mit dem sie ihrer Suppe aus Wildkräutern ein wenig Würze verleihen konnten, denn mehr würden sie am Abend nicht auf den Tisch bringen. Zwei von ihnen waren um die vierzig, und ihre fest zusammengepressten Lippen waren augenfällig gekräuselt, was darauf hindeutete, dass ihnen bereits viele Zähne im Kiefer fehlten. Die dritte dagegen war sehr jung, fast noch ein Mädchen. Sie hatte dunkelrotes Haar und
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