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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Nele Neuhaus
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Prolog
    Er stellte die Einkaufstüte ab und verstaute seine Einkäufe in dem winzigen Kühlschrank. Das Eis, ihre Lieblingssorte von Häagen-Dasz, war fast geschmolzen, aber er wusste, dass sie es genau so mochte, so sahnig und cremig mit den knusprigen Gebäckstückchen. Es war Wochen her, dass er sie zuletzt gesehen hatte. Obwohl es ihm schwerfiel, drängte er sie nie. Er durfte nichts überstürzen, musste geduldig sein. Sie musste von sich aus zu ihm kommen wollen. Gestern hatte sie sich schließlich gemeldet, per SMS . Und gleich würde sie da sein! Die Vorfreude ließ sein Herz schneller schlagen.
    Sein Blick wanderte durch den Wohnwagen, den er gestern Abend noch ordentlich aufgeräumt hatte, und fiel auf die Uhr über der kleinen Küchenzeile. Schon zwanzig nach sechs! Er musste sich beeilen, denn er wollte nicht, dass sie ihn so sah, so verschwitzt und unrasiert. Nach der Arbeit war er noch schnell beim Frisör gewesen, aber der ranzige Geruch nach Imbissbude klebte in jeder Pore. Rasch zog er sich aus, stopfte die nach Schweiß und Frittenfett stinkenden Klamotten in die leere Einkaufstüte und zwängte sich in die Dusche neben der Miniküche. Auch wenn es eng und der Wasserdruck äußerst bescheiden war, so zog er die Nasszelle des Wohnwagens den unhygienischen öffentlichen Sanitärräumen des Campingplatzes, die zu selten gereinigt wurden, vor.
    Er seifte sich von Kopf bis Fuß ein, rasierte sich sorgfältig und putzte die Zähne. Manchmal musste er sich dazu zwingen, denn oft war die Versuchung, sich hängenzulassen und in Selbstmitleid und Lethargie zu versinken, groß. Vielleicht hätte er es getan, wenn sie nicht wäre.
    Ein paar Minuten später schlüpfte er in frische Unterwäsche und ein sauberes Polohemd, aus dem Schrank nahm er eine Jeans. Schließlich streifte er die Uhr über sein Handgelenk. Ein Pfandleiher am Hauptbahnhof hatte ihm vor ein paar Monaten hundertfünfzig Euro geboten – eine glatte Unverschämtheit, hatte er vor dreizehn Jahren doch elftausend Mark für dieses Meisterstück aus einer Schweizer Uhrenmanufaktur bezahlt. Er hatte die Uhr behalten. Sie war die letzte Erinnerung an sein altes Leben. Ein prüfender Blick in den Spiegel, dann öffnete er die Tür und trat aus dem Wohnwagen.
    Sein Herz machte ein paar raschere Schläge, als er sie draußen auf dem klapprigen Gartenstuhl sitzen sah. Seit Tagen und Wochen hatte er sich auf diesen Augenblick gefreut. Er blieb stehen, um ihren Anblick auf sich wirken zu lassen, ganz in sich aufnehmen zu können.
    Wie wunderschön sie war, wie zart und zierlich! Ein kleiner, süßer Engel. Das weiche blonde Haar, von dem er wusste, wie es sich anfühlte und wie es roch, fiel ihr über die Schultern. Sie trug ein ärmelloses Kleid, das ihre leicht gebräunte Haut und die zerbrechlichen Wirbel in ihrem Nacken sehen ließ. Auf ihrem Gesicht lag ein konzentrierter Ausdruck, sie war damit beschäftigt, etwas in ihr Handy einzutippen, und bemerkte ihn nicht. Weil er sie nicht erschrecken wollte, räusperte er sich. Sie blickte auf, ihr Blick begegnete seinem. Das Lächeln begann in den Mundwinkeln und breitete sich dann über ihr ganzes Gesicht aus. Sie sprang auf.
    Er musste schlucken, als sie nun auf ihn zukam und vor ihm stehenblieb. Der Ausdruck des Vertrauens in ihren dunklen Augen versetzte ihm einen Stich. Großer Gott, wie süß sie war! Sie war der einzige Grund, weshalb er sich nicht längst vor einen Zug geworfen hatte oder auf eine andere kostengünstige Art und Weise vorzeitig aus seinem elenden Leben geschieden war.
    »Hallo, Kleines«, sagte er rau und legte seine Hand auf ihre Schulter. Nur ganz kurz. Ihre Haut fühlte sich samtig und warm an. Am Anfang hatte er immer Hemmungen, sie zu berühren.
    »Was hast du deiner Mutter erzählt, wo du bist?«
    »Die ist heute Abend mit meinem Stiefvater auf irgend so ’nem Fest, bei der Feuerwehr, glaub ich«, erwiderte sie und steckte das Handy in ihren roten Rucksack. »Ich hab gesagt, ich geh zu Jessie.«
    »Gut.«
    Mit einem Blick vergewisserte er sich, dass kein neugieriger Nachbar oder zufälliger Passant sie beobachtete. Er vibrierte innerlich vor Aufregung, seine Knie waren ganz weich.
    »Ich habe dein Lieblingseis für dich gekauft«, sagte er leise. »Wollen wir reingehen?«

Donnerstag, 10. Juni 2010
    Sie hatte das Gefühl, nach hinten wegzukippen. Sobald sie die Augen öffnete, drehte sich alles. Und ihr war übel. Nein, nicht übel, sondern sterbenselend. Es roch nach
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