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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Nele Neuhaus
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Vermieter hatte ihm schließlich gekündigt. Ähnlich erging es Bettina B (34). Die alleinerziehende Mutter von fünf Kindern war im Januar Gast in Hanna Herzmanns Sendung (Thema: Wenn Väter sich verdrücken). Entgegen vorheriger Absprachen wurde Bettina B. als überforderte Mutter und Alkoholikerin dargestellt. Auch bei ihr hatte die Ausstrahlung unangenehme Folgen: Sie bekam Besuch vom Jugendamt.«
    »Scheiße«, murmelte Hanna. Was einmal im Internet stand, ließ sich nie wieder löschen. Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach.
    Leider entsprach der Artikel der Wahrheit. Hanna besaß ein todsicheres Gespür für interessante Themen, und sie schreckte auch nicht davor zurück, unangenehme Fragen zu stellen und tief im Dreck zu wühlen. Dabei waren ihr die Menschen und ihre oftmals tragischen Schicksale im Grunde genommen völlig egal, die meisten verachtete sie sogar insgeheim ihres Dranges wegen, sich jede Blöße zu geben, nur um für fünfzehn Minuten berühmt zu sein. Hanna schaffte es, den Leuten vor laufender Kamera ihre intimsten Geheimnisse zu entlocken, und verstand es dabei meisterhaft, mitfühlend und interessiert zu wirken.
    Allerdings reichte die wahre Geschichte oft nicht aus, dann war ein wenig Dramatisierung notwendig. Und das war Normans Sache gewesen. Er hatte es zynisch ›Pimp my boring life‹ genannt und gerne die Realität über jede Schmerzgrenze hinaus verzerrt. Ob das moralisch in Ordnung war oder nicht, war Hanna ziemlich schnuppe, letztlich gab der Erfolg, gemessen an den Einschaltquoten, seiner Taktik recht. Zwar füllten die Beschwerdebriefe solchermaßen getäuschter Gäste mehrere Ordner, denn oft kapierten die erst hinterher, wenn sie dem Gespött ihrer Mitmenschen ausgesetzt waren, was sie da in aller Öffentlichkeit an Peinlichkeiten von sich gegeben hatten. Nur sehr selten kam es tatsächlich zu einer Klage, und das lag an den ausgefeilten, juristisch absolut wasserdichten Verträgen, die jeder, der in ihrer Sendung überhaupt zu Wort kommen wollte, vorher unterschreiben musste.
    Hinter ihr hupte es. Hanna schreckte aus ihren Gedanken hoch. Der Stau hatte sich aufgelöst. Sie hob entschuldigend die Hand und gab Gas. Zehn Minuten später bog sie in die Hedderichstraße ein und fuhr in den Hinterhof des Gebäudes, in dem sich ihre Firma befand. Sie steckte das Smartphone in ihre Tasche und stieg aus. In der Stadt war es immer ein paar Grad wärmer als im Taunus, die Hitze staute sich zwischen den Häusern und hatte Saunaqualität erreicht. Hanna flüchtete in das klimatisierte Foyer und betrat den Aufzug. Auf der Fahrt in den fünften Stock lehnte sie sich an die kühle Wand und betrachtete kritisch ihr Spiegelbild. In den ersten Wochen nach der Trennung von Vinzenz hatte sie entsetzlich verhärmt und mitgenommen ausgesehen, und die Mädchen in der Maske hatten ihre ganze professionelle Kunstfertigkeit aufbieten müssen, um ihr zu dem Aussehen zu verhelfen, an das die Fernsehzuschauer gewöhnt waren. Aber jetzt fand Hanna sich ganz passabel, zumindest im schummrigen Licht des Aufzugs. Die ersten silbernen Strähnen deckte sie mit einer Haartönung ab, nicht aus Eitelkeit, sondern aus purem Selbsterhaltungstrieb. Das Fernsehbusiness war gnadenlos: Männer durften graue Haare haben, für Frauen dagegen bedeuteten sie die sukzessive Verbannung in Kultur- oder Kochsendungen im Nachmittagsprogramm.
    Kaum dass Hanna im fünften Stock aus dem Aufzug getreten war, erschien Jan Niemöller vor ihr wie aus dem Nichts. Ungeachtet der tropischen Temperaturen, die draußen herrschten, trug der Geschäftsführer der Herzmann production ein schwarzes Hemd, schwarze Jeans und als Krönung des Ganzen einen Schal um den Hals.
    »Hier ist der Teufel los!« Niemöller tänzelte aufgeregt neben ihr her und fuchtelte mit den dünnen Armen. »Die Telefone klingeln im Sekundentakt, und du bist nicht zu erreichen. Und wieso erfahre ich von Norman, dass du ihn fristlos entlassen hast, und nicht von dir? Erst schmeißt du Julia raus, jetzt Norman – wer soll denn hier noch die Arbeit machen?«
    »Meike wird für den Sommer als Julias Vertretung einspringen, das ist doch schon geklärt. Und wir werden eben erst einmal mit einem freien Producer arbeiten.«
    »Und mich fragst du nicht einmal!«
    Hanna musterte Niemöller kühl.
    »Personalentscheidungen sind meine Sache. Ich habe dich eingestellt, damit du dich um den kaufmännischen Kram kümmerst und mir den Rücken
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