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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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im Zwielicht hantierten.
    »Das sind unsere letzten Eier.«
    »Ich weiß.«
    »Nächstes Mal«, sagte er, »gibt es Kartoffeln, Spiegeleier und frische Forelle.«
    »Und wann ist das?«
    »An deinem achtzehnten Geburtstag.«
    »Abgemacht.«
    »Aber vielleicht willst du nicht aus deinem Leben weggehen, um mich zu besuchen. Ich bin dann ja schon richtig alt. Vielleichtliege ich ja in einem kleinen, stickigen Krankenhauszimmer und sterbe allein.«
    »Ich hole dich da raus.«
    Sie aßen mit Gabeln und schoben das Ei und das Corned Beef im Mund herum und reckten ihr Kinn und lachten miteinander. Mit jedem Bissen nahmen sie ein Stückchen Ei und ein Stückchen Corned Beef. Wetteiferten miteinander, wer die bessere Mischung auf der Gabel hatte. Als sie aufgegessen hatten, waren ihre Hände klebrig, und das Campinggeschirr war fettig und vom Feuer geschwärzt. Das Mädchen kniete im Gras. Er klopfte ihr auf den kleinen Bauch.
    »Die Jungen werden dir nachstellen, wenn du zurückkommst, und sie werden sehen, wie du dich verändert hast.« Er stellte die Blechteller und Becher in den Topf, packte alles zusammen und zog das rote Leinenband stramm. Hinter seinem Kopf war der Himmel ein Leuchten. »Ich glaube nicht, dass ich es aushalte, dich in Chicago wiederzusehen, Tom. Du wirst dich nicht mehr für deinen alten Freund interessieren, und das könnte ich nicht ertragen. Ich glaube, ich könnte nicht einmal in derselben Stadt wie du sein. Verstehst du das?«
    Tommie legte sich auf den Rücken und sah zu den kalten weißen Sternen hinauf, die in den Baumwipfeln hingen, korngelbe Blätter verfingen sich in ihrem Haar, ihre weißen Zähne schienen blau in der einfallenden Dunkelheit. Unterdessen packte er alles in seinen Rucksack und schöpfte mit den Händen Wasser aus dem Fluss, um das Feuer zu löschen. Als sie wieder bei der Hütte waren, nahm er Stift und Papier aus dem Handschuhfach des Wagens und beugte sich über die Kühlerhaube. Sie sah, wie er etwas schrieb. »Vergiss einfach, was ich tue, ja?« Dann nahm er ihre Hand und ging mit ihr zwischen den modrigen Zaunpfählen den Hang hinunter. »Pass auf, wo du hintrittst. Wir sind gleich so weit.« Er legte ihre Hand auf das raue, faserigeHolz eines Zaunpfahls, als wäre sie blind. »Fühlst du das? Merk dir das gut. Es ist der vierzehnte Zaunpfahl vom Haus aus. Der vierzehnte Zaunpfahl am vierzehnten Tag. Kannst du dir das merken?«
    »Warum?«
    »Diesen Zaunpfahl lasse ich stehen, okay? Und wenn er noch so sehr verrottet. Auch wenn am Haus alles Mögliche gemacht wird. Der vierzehnte Zaunpfahl wird hier immer stehen, für dich.« Er schob den Zettel ganz tief in das geborstene Holz des Pfahls. »Dreh dich um«, sagte er. »Dreh dich um und sieh dir unser kleines Haus an. Und das Gras, wie es sich wiegt, und den Silbermond. Siehst du das alles? Es gehört uns, stimmt’s?« Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf zu sich. »Ich vermache es dir, Tommie. Es gehört dir. Vielleicht ist es viel mehr deins, als es jemals meins war. Du kommst wieder her, wenn ich nicht mehr bin, ja? Und dann ziehst du ein. Ich werde dir schreiben. Ich schreibe dir jeden Tag ein halbes Dutzend Briefe, bis an mein Lebensende, und ich verstecke sie alle. In Bechern und alten Socken. Du musst sie überall suchen und dann in einer Reihe zusammenlegen. Du kannst sie auf einer Wäscheleine in der Sonne aufhängen, und sie erzählen die Geschichte von meiner Liebe für dich. Wenn du verheiratet bist, musst du deinen Mann so lange verlassen, bis du hier alles geordnet hast, ja? Die ganzen Botschaften von mir. Botschaften von den Toten.«
    »Ich will nicht zurück.«
    »Pst. Fühlst du das?« Er drückte mit dem Daumen auf das Ende ihres Brustbeins zwischen ihren Brüsten. »Fühlst du den Druck? Das ist die Welt. Sie ruft dich.« Er hob sie hoch wie ein Kind, setzte sie sich auf die Hüfte und trug sie zurück, auf das untere Bett des Stockbetts. Sie atmete in sein Hemd hinein. Er wusste, dass sie sich seine Botschaften auf der Wäscheleine imfrischen Wind vorstellte. Er wusste, dass sie sich ihn tot vorstellte.
    * * *
    Das hier würde David Lamb sich wahrscheinlich immer wieder erzählen: wie sie ihren Kopf gehoben hatte, Kinn und Hals etwas gefältelt, als sie zu ihm hinuntergesehen hatte, und das vollends erschrockene, weit offene Gesicht, weiß in der Dunkelheit, und die Schatten der Öllampe, wie sie zurückwichen und sich streckten wie lebendige Arme. Und wie er sagte: O Gott, o Gott,
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