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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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gekauft hatte. Lässt das Armband zurück, das ich ihr gekauft habe, in London.«
    »London? London? Ich erzähle dir mal, wie das ist mit dem Älterwerden. Davon kann ich dir was erzählen.«
    »Geht einfach weg, Kinn hoch. Geht los und sucht sich einen neuen, einen anständigen Mann.«
    »Sie war ein Engel, David. Sie war ein Engel.«
    »Dad.«
    »Ach, lass mich doch um Himmels willen in Ruhe.«
    »Ich muss dich was fragen.«
    »Von wegen fragen.«
    »Von Vater zu Sohn.«
    »Lass mich in Ruhe. Ich weiß keine Antworten.«
    »Okay. Okay.« Lamb stand auf. »Ich mach dir was zu essen. Hast du was Vernünftiges im Haus?« Er ging in die Küche und machte den Tiefkühlschrank auf.
    »Ich will nichts Richtiges. Und wenn was Richtiges, dann Hackbraten. Und ich hab kein Hackfleisch im Haus.«
    »Doch, Dad, hier ist welches.«
    »Nur ein bisschen Hackbraten. Und ein bisschen Gin. Ist das zu viel verlangt? Für einen elenden alten Mann, der ganz allein stirbt?«
    »Was Grünes dazu? Erbsen? Was meinst du?«
    »Lass mich in Ruhe. Siehst du nicht, dass ich sterbe?«
    »Also Erbsen.«
    »Mach, dass du rauskommst.«
    David Lamb machte die Tür des Tiefkühlschranks zu, nahm eine Dose Bier aus einer halbleeren Sechserpackung auf der Arbeitsfläche und setzte sich an den Küchentisch.
    »Erbsen«, sagte sein Vater. »Wer isst denn schon Erbsen.«
    »Stimmt, wir haben nie welche gegessen.« Er machte die Bierdose auf.
    »War keiner da, der uns Erbsen gekauft hätte.«
    David sah aus dem schmutzigen Fenster. »Nein«, sagte er, »das ist allerdings wahr.«
    * * *
    Und sagen wir, es war am selben frühen Abend und fünfzehn Meilen entfernt, in einem schäbigen Zimmer in einem Beton-Wohnblock beim Freeway, wo ein Mädchen an einem billigen lila T-Shirt das Halsbündchen und die Ärmel abschnitt und die Schulterlöcher vergrößerte, sich das Hemd vorm Spiegel anhielt und sich musterte und dann fünfzehn Zentimeter vom unteren Rand abschnitt. Als sie sich in ihrer verschossenen geblümten Unterwäsche und dem zerschnittenen T-Shirt vor dem Spiegel von einer Seite zur anderen drehte, ging plötzlich die Tür auf. Schnell griff sie nach den Jeans auf dem Fußboden und hielt sie sich vor. Der Mann stand in der Tür und schnaubte. »Was soll das denn sein?«
    Das Mädchen sagte nichts.
    »Als ich klein war, und ein Erwachsener hat mich was gefragt, hab ich geantwortet.«
    »Ein Top.« Ihre Stimme war rau und tief.
    »Ein Top.« Der Mann nickte. »Sieht nicht sehr nach einem Top aus.«
    »Ich ziehe mich gerade an.«
    Er trat zurück auf den Flur und zog die Tür zu. »Das rutscht dir doch runter.« Er sprach durch die dünne Holzwand.
    »Ich weiß.« Sie hielt sich die Jeans vor die Unterwäsche unddie nackten Beine, und das, was von dem lila Top noch da war, glitt an ihrem schmalen, sommersprossigen Körper hinunter. Ihre Arme und Beine waren blass und drahtig, sie hatte ein Bäuchlein und keine Taille, und der Brustkorb saß nicht weit über den Hüften. Sie hatte spitze Ellbogen und spitze Knie. »Wo ist meine Mom?«
    »Kommt später.«
    »Was gibt’s zum Essen?«
    »Cap’n Crunch.«
    »Ich will kein Frühstück als Abendessen.«
    »Na ja, ich auch nicht.«
    Das Mädchen sah zu dem Schreibtisch und dem orangefarbenen Schulrucksack hinüber.
    »Ich muss noch Hausaufgaben machen.«
    »Von wegen, Hausaufgaben. Zieh dir was Richtiges an und komm rüber.«
    »Wann kommt sie?«
    »Später.«
    »Oh.«
    »Komm schon. Du musst was essen.« Sie hörte seine schweren Schritte auf dem braunmelierten Teppichboden, als er in die Küche ging. Sie stellte sich mit dem Rücken an die Tür, schüttelte das Top von den Füßen, nahm einen rosa Klammeraffen aus der Schublade und klammerte die Innennähte und die schiefen Säume fest.
    * * *
    Bei der Beerdigung stand Lamb als Einziger dabei und sah zu, als der Sarg in das tiefe, leere Rechteck hinabgelassen wurde, um dessen Ränder Kunstrasen ausgelegt war. Ihm kam es vor,als hätte das alles weder mit seinem Vater noch mit einer Beerdigung zu tun. Anschließend parkte er seinen Wagen auf dem Parkplatz zwischen einem Getränkemarkt und einem Billigkaufhaus und stellte sich in seinem schwarzen Anzug und der Cubs-Basketballmütze seines toten Vaters, eine kalte Zigarette zwischen den Lippen, neben die Bank an einer Bushaltestelle. Er suchte die Gegend nach etwas Grünem ab, nach einer Stelle, wo er seine Wange an etwas Warmes, einen Flecken Gras oder Erde, schmiegen konnte, nach einem Schlupfloch, einem
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