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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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leer, die Ampel auf Blinken geschaltet, die Tankstellen hell in der dunklen Kälte. Alles war vorbei. Der Tag war noch ein bisschen kälter, noch etwas grauer als der davor.
    »Der letzte Tag«, sagte er, als sie von der Chevron-Tankstelle losfuhren. Die nadelscharfen Regentropfen wurden zu Schneeregen. »Und hier kommt der Winter.«
    »Dabei ist es erst Oktober.«
    »Das ist Eis«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe.
    Als sie in Lombard ankamen, waren die Straßen vom Regen und Eis schwarz und die Parkplätze vor den Läden und Geschäften fast leer.
    »Niemand auf«, sagte Lamb.
    »Ein Glück für uns.«
    »So einsam und verlassen wie die Wiese hinter der Hütte«, sagte er. »Die sich zum Fuß der Berge erstreckt. Siehst du? Man findet eine offene Landschaft, wenn man nur richtig guckt.«
    Sie weinte, lautes Weinen und Husten schüttelte sie, und er blieb vor einer Apotheke stehen, damit sie sich ausweinen konnte. Rotz und Tränen liefen ihr übers Gesicht, und er lehnte sich zu ihr hinüber, um ihr Wangen und Kinn abzuwischen. Erküsste die Tränen weg, küsste sie mit offenen Augen und ließ den Blick wachsam über den Parkplatz schweifen.
    »Gut jetzt?«, sagte er leise, und sie nickte. »So, wie wir es abgemacht haben, richtig?« Sie machte die Augen zu, machte sie auf und wieder zu. »Ich habe dich nie belogen, oder?«
    »Nein.«
    »Habe ich nicht erlaubt, dass du länger bleibst?« Dann zog er ihren gelben Pullover glatt, strich mit der offenen Hand darüber. Sie sah ihm zu. »Ich verspreche dir etwas, ja?« Er beugte sich noch näher zu ihr und hatte, als er sprach, das Gesicht nah an ihrem. »Valentinstag«, sagte er. »Dann hole ich dich, okay? Dann können wir eine Weile zusammen sein. Das sind keine vier Monate mehr.«
    »Wirklich?«
    »Ein bisschen länger als hundert Tage. Kannst du dir das so lange merken?«
    »Dann kommst du und holst mich ab?«
    »Ich komme dich besuchen. Ich passe gut auf und beschütze dich. In Ordnung?«
    Sie nickte.
    »Wir gehen wieder in das weiße Hotel. Oder zu den Stromschnellen am Fluss. Ich schicke dir ein Zeichen. Und wenn du es siehst, wartest du da auf mich. Und ich fahre mit dir in diesem guten alten Wagen für ein paar Stunden weg, ja? Du musst die ganze Zeit die Augen aufgesperrt halten, damit du mein Zeichen entdeckst.«
    »Was für ein Zeichen ist das?«
    »Ein Band, das an einer seltsamen Stelle angebunden ist. Oder in der Weihnachtszeit ein kleines blaues Licht in einer Kette weißer Lichter. Oder eine zerbrochene Fensterscheibe wie die in der Hütte.«
    Jetzt weinte sie wieder.
    »Ach, Süße«, sagte er. »Ach, Süße, die Hütte gehört dir. Sie wird immer dir gehören. Ich vererbe sie dir. Habe ich das nicht schon gesagt? Und du kannst da immer leben, wenn ich mal tot bin.«
    »Vielleicht.« Sie wollte etwas sagen.
    »Ich kann dich nicht verstehen.«
    »In ein paar Jahren vielleicht.«
    »Ja.«
    »Vielleicht können wir es dann allen erzählen.«
    »Vielleicht hast du recht«, sagte er und wischte ihr wieder mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht. »Vielleicht muss es so sein.«
    »Ich glaube – die andern – würden – verstehen.« Ihre Brust hob und senkte sich, und ihre Worte waren verschwommen.
    »Weil es Liebe ist, nicht?«
    Sie nickte und fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang.
    Langsam fuhr er vom Parkplatz auf die Straße. »Du weißt, wie wir es machen, oder?«
    »Ja.«
    »Hör zu, Tom. Du musst dich zusammenreißen. Du musst tapfer sein. Und an all das denken, was wir gesagt haben, damit keiner gefährdet wird.«
    »Ich weiß.«
    »Kannst du aufhören zu weinen?«
    »Ich versuche es ja.«
    »Eine Weile muss es so sein.«
    »Ich weiß.«
    »Du achtest schön darauf, dass du gesund und kräftig bleibst, damit die anderen glauben, wenn ich dich wieder abholen will, dass es dir gutgetan hat, ja? Klingt das vernünftig?«
    »Ja.«
    »Wenn ich zurückkomme, und du warst in der Zwischenzeit ein hysterisches Nervenbündel, dann sagen die anderen, ich tue dir nicht gut, richtig?«
    Nicken.
    »So ist es brav.«
    Er fuhr auf die Butterfield Road, und da, vor ihnen, waren die hohen Rechtecke der Wohnblöcke, wo das Mädchen wohnte, keine Meile entfernt, die Blöcke, die sie sich in ihren Gesprächen und Träumen vorgestellt hatten, als um sie herum Bäume und Wind und der Fluss waren. Hier waren sie, wahrhaftig, hoch und fest und voller schlafender Menschen, darunter auch die Mutter des Mädchens und Jessie, die
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