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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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und krank in einem Pflegeheim liege, und schlägst mir die Zähne ein. Oder du flüsterst mir auf meinem Sterbebett ins Ohr, dass ich d…«
    »Hör auf!« Jetzt weinte sie.
    »Oh«, sagte er, wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab, wischte dann ihre ab und drehte ihr weinendes Gesicht zu sich. »Es ist nicht wahr«, sagte er. »Es tut mir leid. Was ich gesagt habe, ist nicht wahr. Ich habe zu viele Tabletten genommen. Ich habe zu lange am Steuer gesessen.« Er nahm ihre Hände und drückte sie an seine Brust, an seinen Hals, dann auf seinen Mund. »Vergiss bitte alles, was ich gerade gesagt habe. Versprich mir, dass du es vergisst. Sag, dass du es versprichst, ja?«
    »Ich verspreche es.«
    Das Fieber hatte ihn verwundbar gemacht. Lamb hatte das Mädchen der Mutter in bester Verfassung übergeben wollen, zwölf Punkte auf einer Zehn-Punkte-Skala. Er hatte vorgehabt, sie schnell nach Hause zu bringen, drei Tage Fahrt und keine Zeit für Unvorhergesehenes. Aber so war das. Alles war anders. Er hatte das Gefühl, als würde Asche von innen her seine Brust und seine Kehle füllen, ihm den Mund verstopfen, das Herz, den Kopf, und alles, so hoffte er, bedecken, so wie die schwere graue Wolkendecke, die sich im Winter auf die Ebene senkte,damit er nie wieder hineingucken konnte. Nicht, wenn dieser Tag vorbei war. Nicht nach dem hier.
    Als sie Rockford erreichten, war ihm klar, dass sie einen Tag Rast machen mussten, vielleicht zwei. Bis sie wieder hergestellt war. Bis er so weit war. Er fuhr auf den bewachten Parkplatz eines Red Roof an der Interstate 90, gegenüber einem kleinen Einkaufszentrum. Er hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest und stierte vor sich hin durch die Windschutzscheibe. »Willst du wissen, was los ist? Ich kann dich nicht gehen lassen.« Das Mädchen sagte nichts. »Bist du jetzt unglücklich? Weil du ein bisschen gehofft hast, schnell nach Hause zu kommen?«
    »Ich weiß nicht.« Ihre Stimme war ganz dünn.
    »Du klingst, als hättest du Angst. Hast du Angst?«
    »Nein.«
    »Weil du mir vertraust, oder?«
    »Ja.«
    »Weißt du, wie es mit mir weitergehen wird, wenn du wieder in deinem Leben bist und schwimmen gehst und ins Kino und zum Tanzen? Wenn du deine erste Stelle hast und dich verliebst und dir das Haar kürzer schneiden lässt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »All das wirst du tun. Und das ist in Ordnung. Sag mir, dass es so sein wird. Sag es.«
    »Ich weiß nicht, Gary.«
    »Es wird so sein. Du wirst das Baumbuch ganz hinten in deinen Schrank stecken und erst wieder finden, wenn du deine Sachen fürs College packst. Dann wirfst du es weg. Du solltest mir die Giftblume geben. Ich bin derjenige, der sie jetzt braucht.«
    »Ich werfe das Buch nicht weg.«
    »Weißt du, wie es mit mir weitergehen wird?«
    Das Mädchen sagte nichts.
    »Ich fahre zurück, und ich schlafe in der Werkstatt auf demFußboden, neben dem Stockbett. Ich werde nie wieder in dem Bett schlafen. Aber ich lasse alles so, wie es ist. Ich lege mich auf eine Wolldecke auf dem Betonboden. Jeden Abend, den ganzen Winter über, und wenn es mich umbringt.«
    »Du wirst erfrieren.«
    »Es wird mir guttun, die Kälte zu spüren.«
    »Gary.«
    »Wenn es hier Winter wird und der Wind dir ins Gesicht beißt und deine Finger sich in Handschuhen anfühlen, als wären sie aus Glas, dann möchte ich, dass du an mich denkst, allein da draußen.«
    »Hör auf, Gary.«
    »Nicht. Fass mich nicht an. Es tut mir gut, ein bisschen zu weinen. Ein Mann darf doch weinen, oder?«
    Sie sah auf seine Hände, die das Lenkrad umfasst hielten.
    »Du wirst mich hinter dir lassen«, sagte er. »Du wirst mich vergessen.«
    »Ich werde dich nicht vergessen.«
    »Ich werde alles aufschreiben. Das schicke ich dir dann. Oder nein. Am besten, du vergisst mich ganz und gar. Ich komme wieder in die Stadt und laufe umher und suche nach dir, aber du bist nicht mehr da. Stattdessen gibt es eine Frau, und ich weiß nicht, wo ich dich finden kann.«
    »Dafür kann ich nichts.«
    »Ich weiß.« Jetzt weinte er wirklich.
    Eine Geschäftsfrau in langem hellem Regenmantel und lila Schal ging an dem Wagen vorbei und blickte durch die Windschutzscheibe. Sie öffnete die Tür des Chryslers, der an der Seite neben dem Mädchen stand, und Lamb wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
    »Sieh nur, der alte Kerl«, sagte er. »Heult wie ein Baby.«
    »Gleich geht es wieder, Gary.«
    »Ach, du liebes Ding.«
    »Ich glaube, wir sollten eine Pause machen«, sagte das Mädchen,
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