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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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sagte der Mann mit einem Blick auf Tommie, »aber mir kam sie etwas durcheinander vor.«
    Tommie sah zu Lamb auf, ihr Gesicht ganz still, die Lippen kalkweiß. »Ich habe Bauchweh«, sagte sie.
    Lamb stolperte, als er die Tür weiter aufmachte, und blickte zurück ins Zimmer zu Linnie, die in Wolldecke und Überdecke gehüllt auf der Couch saß. Sie saß aufrecht, konnte aber nicht aufstehen, weil sie nichts anhatte. Ohne einen weiteren Gedanken machte er die Arme weit auf für das Mädchen, und sie warf sich hinein, weinend und stumm.
    »Bauchweh, als würde dir gleich schlecht?«
    Sie schüttelte den Kopf, in sein Flanellhemd vergraben.
    »Dad hat gesagt, Sie hätten vielleicht einen Schneepflug, denwir leihen könnten. Ich dachte nicht, dass Sie wach sein würden. Wollte ihn später zurückbringen.«
    »Ach so«, sagte Lamb, lächelte, sah mit dümmlichem Gesicht von dem Mann zu Linnie und beachtete das Mädchen jetzt nicht. »Ach so. Ja, natürlich.«
    »Ist alles in Ordnung mit ihr?«, fragte der Mann, und plötzlich erkannte Linnie, dass das Mädchen – irgendwie – zu Lamb gehörte und nicht zu dem Mann an der Tür. Es war der Geist, das tote Mädchen, das Mädchen, das er von der Schaukel weggestohlen hatte. Ein säuerlicher Geschmack stieg ihr in den Mund, ihre Arme und Beine fühlten sich heiß und kraftlos an, und als sie sprach, hörte sie ihre eigene Stimme, als käme sie von einer anderen, von einer, die nicht sie war.
    »Wer ist das, David?«
    Er guckte verlegen. »Linnie, das ist meine Nichte.«
    »Emily?«
    Lamb verzog das Gesicht zu einem seltsamen Lächeln. »Ja, richtig.« Lamb legte den Zeigefinger auf die Lippen, dass sie still war, und drehte sich zu dem Mann an der Tür um. Linnie stand auf und hielt die Decken um sich drapiert, dann setzte sie sich wieder. Sie betrachtete das Kind – nicht mitleidvoll oder besorgt, sondern voller Zorn. Das Mädchen sah Linnie nicht an.
    »Es ist kein Schuppen«, sagte das Mädchen. »Es gibt ein richtiges Schlafzimmer.«
    Linnie starrte sie an.
    »Das stimmt«, sagte Lamb. »Ein Stockbett, Bücher, Decken und Snacks.« Er blickte auf das Mädchen hinunter und lächelte ihr zu, dann zwinkerte er dem Mann in der Tür zu.
    »Hier ist also alles in Ordnung, ja?«, fragte der wieder.
    »Klar, alles bestens«, sagte David, dann hüllte er Tommie in eine flauschige Decke und setzte sie neben Linnie auf dieCouch. Die beiden sahen einander nicht an. Tommies Blick war auf den Fußboden gerichtet, Linnies auf Lamb.
    »Was ist mit Ihnen? Sind Sie unten bei den Fosters?«
    Erst da streckte der Mann an der Tür seine Hand aus. »Ich bin Emory Foster. Meine Mutter ist vorgestern gestorben.«
    »Ach.« David wandte den Blick ab und wechselte von einem Fuß auf den anderen. »Das tut mir leid. Bestimmt ist es schmerzlich.« Er beachtete Linnie und Tommie jetzt überhaupt nicht und richtete seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Mann. »Wie geht es Ihrem Vater? Können wir behilflich sein?«
    »Also, er hat mich gebeten, bei Ihnen zu klopfen und Bescheid zu geben. Meine Frau ist bei ihm, und wir erwarten Doug Michaels, den Amtsarzt für diesen Bezirk, er ist ein alter Freund der Familie. Er müsste bald da sein.«
    »Verstehe.«
    »Auf dem Fahrweg sind ein paar Schneewehen, und« – er guckte hinter sich auf die Straße – »das meiste wird im Laufe des Tages wegschmelzen, glaube ich, aber ich kann uns mit dem Schneepflug eine gerade Linie von hier zu unserem Haus frei machen, wenn ich schon dabei bin.«
    »Bitte. Das wäre sehr nett. Oder« – er fasste sich an die Brust – »soll ich das machen? Vielleicht möchten Sie lieber bei Ihrem Vater und Ihrer Frau sein?«
    »Nein, nein. Ein bisschen frische Luft tut mir gut. Ich mache das gern. Auf dem Rückweg mache ich eine zweite Spur frei, dann hat Doug es leichter.«
    »Gut.« Lamb sah zum ersten Mal wieder zu Linnie und Tommie hinüber, dann wieder zu Emory. »Genau genommen wollten wir heute abfahren.«
    Tommie und Lamb wechselten Blicke.
    »Wir wollen noch zusammen frühstücken, dann machen wir uns auf den Weg.«
    Emory nickte. »Ist gut. Ich lege sofort los und bringe den Schneepflug später zurück, falls Sie ihn noch brauchen.« Er warf wieder einen Blick auf das Mädchen, dann auf Linnie. »Obwohl ich glaube, dass der Schnee nicht lange liegen bleibt.«
    »In dieser Höhe ist die Sonne ganz schön stark.«
    »Das allerdings.«
    »Emory.« Lamb streckte seine Hand aus. »Mein Mitgefühl.«
    »Danke.« Er
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