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Kain

Kain

Titel: Kain
Autoren: José Saramago
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    A ls der Herr, bekannt auch unter dem Namen Gott, feststellte, dass Adam und Eva, wiewohl in allem Äußeren anscheinend vollkommen, kein Wort von den Lippen kam, ja dass sie keinen Laut, nicht einmal den einfachsten Urlaut von sich gaben, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit sich selbst zu zürnen, gab es doch niemanden sonst im Garten Eden, den er für den überaus schwerwiegenden Mangel zur Verantwortung hätte ziehen können, zumal die anderen Tiere, allesamt gleich den beiden Menschen Ergebnisse des göttlichen Es werde, sich schon, mit Muhen oder Brüllen die einen, mit Grunzen, Zwitschern, Pfeifen oder Gackern die anderen, einer eigenen Stimme erfreuten. In einem Zornesanfall, überraschend bei jemand, der mit einem weiteren knappen fiat alles hätte lösen können, eilte er zu dem Paar und stopfte beiden ohne viel Federlesens kurzerhand die Zunge in die Kehle. Aus den Schriften, in denen im Laufe der Zeit die Ereignisse jener fernen Epochen recht zufällig festgehalten wurden, sei es mit womöglich nachträglicher kanonischer Bestätigung oder als Frucht einer zweifelhaften, heillos ketzerischen Phantasie, geht nicht erhellend hervor, um welche Zunge es sich handelt, ob um den beweglichen und feuchten Muskel, der sich in und mitunter auch außerhalb der Mundhöhle hin und her bewegt, oder um die Sprache, die der Herr bedauerlicherweise vergessen hatte und von der wir nicht wissen, welche es war, da von ihr nicht die geringste Spur übrig geblieben ist, nicht einmal ein in die Rinde eines Baumes geritztes Herz mit einer sentimentalen Inschrift, etwas in der Art von Ich liebe dich, Eva. Da im Prinzip eins nicht ohne das andere sein sollte, steht zu vermuten, dass ein weiterer Zweck des kräftigen Stoßes, den der Herr den stummen Zungen seiner Sprösslinge verpasste, darin bestand, diese in Kontakt mit dem tiefsten Innern des körperlichen Daseins zu bringen, den sogenannten Unannehmlichkeiten des Daseins, damit sie künftig, dann schon mit einiger Sachkenntnis, von ihrer dunklen, labyrinthischen Verwirrung sprechen konnten, an deren Fenster, dem Mund, selbige sich bereits zeigte. Alles kann sein. Sorgfältig wie jeder gute Handwerker, was ihm wohl anstand, sowie bestrebt, die vorausgegangene Nachlässigkeit durch angemessene Demut wettzumachen, wollte der Herr natürlich bestätigt sehen, dass sein Fehler korrigiert war, und so fragte er Adam, Du, wie heißt du, und der Mann antwortete, Ich bin Adam, dein Erstgeborener, Herr. Sodann wandte der Schöpfer sich der Frau zu, Und du, wie heißt du, Ich bin Eva, Herr, die erste Dame, antwortete sie unnötigerweise, denn eine zweite gab es nicht. Der Herr war es zufrieden, er verabschiedete sich mit einem väterlichen Auf Wiedersehen und wandte sich wieder seinen Angelegenheiten zu. Da sagte Adam zum ersten Mal zu Eva, Komm, wir gehen ins Bett.
    Seth, der dritte Sohn der Familie, kommt erst nach hundertdreißig Jahren zur Welt, nicht weil die mütterliche Schwangerschaft so lange gedauert hätte, um das Entstehen eines neuen Abkömmlings zu vollenden, sondern weil die Zeugungsorgane des Vaters und der Mutter, also die Hoden und die Gebärmutter, mehr als ein Jahrhundert gebraucht hatten, um heranzureifen und ausreichende Fortpflanzungskraft zu entwickeln. Wer es eilig hat, dem sei gesagt, dass es das fiat einmal gab und dann nie wieder, dass ein Mann und eine Frau keine Wurststopfmaschinen sind, mit Hormonen ist es sehr kompliziert, sie lassen sich nicht einfach so im Handumdrehen produzieren, es gibt sie weder in der Apotheke noch im Supermarkt, man muss ihnen Zeit lassen. Vor Seth waren in knappem zeitlichen Abstand zuerst Kain und dann Abel auf die Welt gekommen. Was nicht ohne sofortigen Kommentar übergangen werden darf, ist der tiefe Verdruss über so viele Jahre ohne Nachbarn, ohne Ablenkung, ohne ein zwischen Wohnzimmer und Küche krabbelndes Kind, ohne andere Besuche als die des Herrn und selbst diese höchst selten und kurz, dazwischen lange Pausen, zehn, fünfzehn, zwanzig, fünfzig Jahre, wir können uns vorstellen, dass nicht viel gefehlt hat und die einsamen Bewohner des irdischen Paradieses hätten sich als arme, im Urwald des Universums ausgesetzte Waisen empfunden, auch wenn sie nicht zu erklären vermocht hätten, was Waisen und ausgesetzt sein bedeutet. Zwar sagte Adam jeden zweiten Tag, sehr häufig auch schon am nächsten, zu Eva, Komm, wir gehen ins Bett, doch die eheliche Routine, im Fall dieser beiden noch verschärft durch
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