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Kain

Kain

Titel: Kain
Autoren: José Saramago
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unbeschreiblichen Kummer, denn die gewünschte Umsetzung des göttlichen Plans geriet damit ernsthaft in Gefahr, da nunmehr das Doppelte oder gar Dreifache der für eine akzeptable Wiederbevölkerung der Erde notwendigen Zeit angesetzt werden musste. Kains Mitwirken wurde immer notwendiger, deshalb beschloss Noah, da Kain sich offenbar nicht entscheiden wollte, mit ihm ein Gespräch von Mann zu Mann zu führen, Reden wir jetzt nicht lange um den heißen Brei herum, sagte er, du musst dich sofort an die Arbeit machen, von heute an kannst du, wann du willst und wie du willst, ich werde vorläufig keine große Hilfe sein, diese Sorgen machen mich kaputt, Was soll das heißen, wann ich will und wie ich will, fragte Kain, Genau das, und mit wem du willst, antwortete Noah und setzte dazu seine schönste Kennermiene auf, Auch mit deiner Frau, wollte Kain wissen, Ich bestehe darauf, sie ist meine Frau, mit ihr kann ich machen, was ich möchte, Zumal es um ein gutes Werk geht, sagte Kain, Ein frommes Werk, ein Werk des Herrn, pflichtete Noah ihm mit gebotener Feierlichkeit bei, Wenn das so ist, können wir gleich anfangen, sagte Kain, schick sie mir in die Kammer, in der ich schlafe, und sorg dafür, dass uns niemand stört, egal was passiert und was zu hören ist, So soll es sein, auf dass Gottes Wille geschehe, Amen. Sicherlich wird der eine oder andere denken, dass der verschlagene Kain sich über die Situation amüsiert, mit seinen unschuldigen Reisegefährten Katz und Maus spielt und sie, wie der Leser inzwischen vermuten dürfte, der Reihe nach um die Ecke bringt. Wer dies glaubt, täuscht sich. Kain kämpft mit seiner Wut auf den Herrn, als würde er von den Tentakeln eines Kraken festgehalten, und seine jetzigen Opfer sind, wie schon Abel in der Vergangenheit, nichts anderes als neue Versuche, Gott zu töten. Das nächste Opfer wird just Noahs Frau sein, sie wird, ohne es verdient zu haben, mit ihrem Leben für die lustvollen Stunden zahlen, die sie mit der Zustimmung und dem Segen ihres eigenen Mannes in den Armen ihres künftigen Mörders erlebte, so weit war es mit dem Sittenverfall dieser Menschheit gekommen, deren letzte Tage wir miterleben. Nach der Wiederholung, diese aber mit ein paar mehr oder weniger raffinierten Variationen, nach etlichen Momenten ekstatischer Wollust vor allem der Frau, wie üblich begleitet von Flüstern, Stöhnen und gefolgt von unkontrollierten Schreien, führte Kain sie an der Hand zum Fenster, um die nächtliche Kühle zu genießen, griff ihr mit beiden Händen zwischen die noch vor Lust zitternden Schenkel und stieß sie von dort ins Meer. Von den acht Personen, aus denen Noahs Familie bestanden hatte, waren, abgesehen vom Patriarchen, jetzt nur noch sein Sohn Sem mit seiner Frau und Jafets Witwe übrig. Mit zwei Frauen kann man noch viel anfangen, dachte Noah in seinem nicht versiegenden Optimismus und seinem unerschütterlichen Vertrauen in den Herrn. Doch verkniff er sich nicht, seine Verwunderung über das unerklärliche Verschwinden seiner Frau zu zeigen, und äußerte sie auch Kain gegenüber, Sie war ganz und gar dir anvertraut, ich verstehe nicht, wie dieses Unglück geschehen konnte, worauf Kain zurückfragte, War ich vielleicht der Leibwächter deiner Frau, war sie mit einer Schnur um die Fesseln wie ein Schaf an mir festgebunden, Das habe ich nicht gesagt, erwiderte Noah, aber sie hat bei dir geschlafen, du hättest ja etwas merken können, Ich habe einen tiefen Schlaf. Das Gespräch führte nicht weiter, tatsächlich konnte Kain nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Frau aufgestanden war, um draußen im Nachtwind zu urinieren, und dort zum Beispiel einen Schwindelanfall erlitten hatte, in eine Abflussöffnung gerutscht und im Meer verschwunden war. Pech gehabt. Der Wasserstand des riesigen Meeres, das die Erde bedeckte, sank weiter, doch kein Berggipfel hatte den Kopf erhoben und gesagt, Hier bin ich, ich heiße Ararat und befinde mich in der Türkei. Wie dem auch sei, die lange Reise näherte sich ihrem Ende, es war an der Zeit, den Abschluss vorzubereiten, das Ausschiffen oder was sonst geschehen sollte. Sem und seine Frau fielen unter nicht geklärten Umständen am selben Tag ins Meer, das Gleiche passierte mit Jafets Witwe, die in der Nacht zuvor in Kains Bett geschlafen hatte. Und jetzt, klagte Noah und raufte sich in tiefster Verzweiflung die Haare, jetzt ist alles verloren, ohne Frauen, die man befruchten kann, gibt es kein Leben und keine
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