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Kain

Kain

Titel: Kain
Autoren: José Saramago
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strafen. Da unter den am Archenbau Beteiligten ein so gutes Einvernehmen herrschte, konnte Kain bewerkstelligen, dass zu gegebener Zeit sein Esel durch die Pferdepforte auf die Arche geführt wurde, sozusagen als blinder Passagier, und er somit dem allgemeinen Ertrinken entging. Diese herzliche Stimmung ermöglichte es ihm ebenfalls, an so manchem Zweifel, so mancher Ratlosigkeit der Engel Anteil zu nehmen. Zwei von ihnen, zu denen er eine Beziehung aufgebaut hatte, die auf menschlicher Ebene ohne weiteres als kameradschaftlich und freundschaftlich bezeichnet worden wäre, fragte Kain, ob sie wirklich glaubten, dass nach dem Auslöschen dieser Menschheit die darauf folgende nicht auf dieselben Fehler, dieselben Versuchungen, dieselben Irrwege und Verbrechen verfallen werde, und sie antworteten, Wir sind nur Engel, wir wissen wenig über dieses nicht entzifferbare Rätsel, das ihr menschliche Natur nennt, aber offen gesagt sehen wir nicht, wie der zweite Versuch zufriedenstellend ausgehen soll, wenn der erste zu diesem Trauerspiel geführt hat, das sich unserem Auge bietet, kurzum, nach unserer aufrichtigen Meinung als Engel und in Anbetracht der vorhandenen Beweise haben die Menschen das Leben nicht verdient, Findet ihr wirklich, dass die Menschen es nicht verdienen zu leben, fragte Kain bestürzt, Das haben wir nicht gesagt, wir haben gesagt und wiederholen es hier, dass die Menschen angesichts dessen, wie sie sich im Laufe der uns bekannten Zeiten verhalten haben, das Leben nicht verdient haben mit all dem, was es trotz seiner schwarzen Seiten, und derer sind nicht wenige, an Schönem, Großartigem, Wunderbarem besitzt, antwortete der eine Engel, Wenn man das eine sagt, heißt das folglich noch nicht das andere, fügte der zweite Engel hinzu, Dasselbe ist es vielleicht nicht, doch fast, beharrte Kain, Mag sein, aber der Unterschied liegt in dem fast, und der ist riesengroß, Soweit ich weiß, haben wir uns hier noch nie gefragt, ob wir das Leben verdient haben, Hättet ihr darüber nachgedacht, dann stündet ihr vielleicht nicht kurz davor, von der Erdoberfläche zu verschwinden, Jammern lohnt sich nicht, es wäre kein großer Verlust, antwortete Kain, womit er seinem düsteren, auf seinen diversen Reisen zu den Gräueln der Vergangenheit und der Zukunft entstandenen und weiterentwickelten Pessimismus Ausdruck verlieh, wären die in Sodom verbrannten Kinder nicht geboren worden, hätten sie nicht so schreien müssen, wie ich sie habe schreien hören, als es vom Himmel Feuer und Schwefel auf ihre unschuldigen Köpfe regnete, Schuld daran waren ihre Eltern, sagte der eine Engel, Kein Grund, die Kinder dafür leiden zu lassen, Der Fehler ist, zu glauben, dass Gott und die Menschen das gleiche Verständnis von Schuld haben müssen, sagte der eine Engel, Im Fall von Sodom hatte jemand Schuld, und dieser Jemand war ein Gott, der es irrwitzig eilig hatte und keine Zeit damit verlieren wollte, nur jene für die Bestrafung auszusondern, die nach seinen Maßgaben das Böse praktizierten, außerdem, liebe Engel, woher stammt diese seltsame Idee, dass Gott, nur weil er Gott ist, über das Privatleben seiner Gläubigen mit Vorschriften, Verboten, Untersagungen und weiteren Unsinnigkeiten gleicher Art zu bestimmen habe, fragte Kain, Das wissen wir nicht, sagte der eine Engel, Von solchen Dingen erzählt man uns so gut wie nichts, genau genommen werden wir nur für schwere Arbeiten eingesetzt, klagte der andere, wenn es so weit ist, dass die Arche angehoben und zum Meer transportiert werden soll, kannst du schon jetzt darauf wetten, dass du hier keine Serafim und keine Cherubim, keine Throne und keine Erzengel sehen wirst, Das wundert mich nicht, setzte Kain an, doch blieb der Satz in der Luft hängen, während ihm eine Art Windstoß die Ohren peitschte und er sich plötzlich im Innern einer Hütte befand. Darin lag ein nackter Mann, und dieser Mann war Noah, den Trunkenheit in tiefsten Schlaf versetzt hatte. Bei ihm war ein anderer Mann, der mit ihm Geschlechtsverkehr trieb, und dieser Mann war Ham, sein jüngster Sohn, Vater seinerseits von Kanaan. Ham also sah seinen eigenen Vater nackt, eine mehr oder weniger diskrete Umschreibung dessen, was da Unschickliches und Verwerfliches geschah. Das Schlimmste jedoch war, dass der schuldbeladene Sohn anschließend alles seinen Brüdern Sem und Jafet erzählte, die sich draußen vor der Hütte befanden, doch diese griffen mitleidig nach einer Decke, hoben sie an und näherten sich dem
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