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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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einem Ruck die Maske herunter.
     
    IJUMI
(verwirrt)
Du hast gar keinen Makel! Du bist doch wunderschön! Warum in aller Welt nur verbirgst du dein Gesicht? Mein Schicksalsauserwählter ist stumm und wunderschön, wie nachts der Mond am Himmel, wie ein tagheller Stern!
    Auch ich steh ohne Maske, ganz ungeschminkt vor dir. Du siehst mich jetzt genau so, wie ich in Wahrheit bin. Komm, lass uns beide schwören, dass wir fortan nie mehr unser Gesicht verbergen, wenn wir zusammen sind. Ich will nicht länger Geisha sein, ich geh fort mit dir! Lass uns zusammenleben, wie andre Paare auch. Eben ein wenig anders … Dein Stummsein ist nicht schlimm. Ich werde für uns beide doppelt geschwätzig sein. Ach, es spielt keine Rolle, was einst mit uns geschieht. Hier und jetzt, mein Geliebter, lass uns zusammen sein!
     
    Er streckt die Arme nach ihr aus, sie zieht ihn auf ihr Lager. Erst verlischt das Licht im Pavillon, dann auf der ganzen Bühne. Leise Musik.
     
    Vorhang.
     
    Drittes Michiyuki
     
    Auf dem Hanamichi erscheint der Unhörbare, eine Laterne in der erhobenen Hand. Die Zuschauer sehen zum ersten Mal sein Gesicht, es ist leidenschaftslos. Hinter dem Unhörbaren geht Ijumi, ein Bündel in der Hand. Ihr Gesicht, ohne weiße Schminke, wird von einem Lichtstrahl beleuchtet. Sie trägt einen schlichten dunklen Kimono. Beide erstarren.
     
    ERZÄHLER
    Noch vor dem Morgengrauen gingen sie aus dem Haus,
    Verließen das Yanagi und ihre alte Welt.
    So dachte sich Ijumi … Wohin ihr Weg sie führt,
    Das will sie gar nicht wissen, sie folgt ihm unverzagt,
    Schwatzt munter wie ein Bächlein und ohne Unterlass.
    Die finstre Nacht erscheint ihr auf einmal wunderschön.
     
    Er schlägt die Trommel.
    Die beiden laufen im Koaruki-Stil, der Unhörbare mit weit ausgreifenden Schritten, Ijumi dagegen, dem Gebot der Weiblichkeit folgend, mit kleinen Trippelschritten.
     
    IJUMI Die Nacht ist ohne Sterne, und auch der Mond scheint nicht. Spurlos verschwinden werden wir beide in der Nacht. Ich glaubte, dass mein Leben verglüht wie ein Komet. Nur eine Spur am Himmel, ganz kurz, dann Dunkelheit. Doch nun hat mir das Schicksal ein andres Los beschert: Leben mit dem Geliebten werd ich, als seine Frau. Ein Grashalm unter vielen, im Blätterwald ein Blatt. Ein ganz normales Leben – was für ein großes Glück! Doch wozu der Kimono, was soll ich mit dem Stück, in dem ich im Yanagi vor Publikum getanzt?
(Sie zeigt auf das Bündel.)
Für ein einfaches Leben ist er nicht schlicht genug, ich kann ihn nirgends tragen, nicht im, nicht außer Haus.
     
    Der Unhörbare bleibt abrupt stehen und dreht sich zu ihr um.
     
    IJUMI
(legt das Bündel ab)
Du wähltest diese Stelle für eine kleine Rast? Ja, es ist wirklich schön hier: der steile Hang, der Fluss …
(Sie tritt an den Rand des Hanamichi und blickt hinunter.)
Ja, so ist die Karyukai, wo wahre Schönheit wohnt, die Blumen und die Weiden, ergeben dem Yugen.
     
    Währenddessen nimmt der Unhörbare den Kimono aus dem Bündel und breitet ihn auf der Erde aus. Dann zieht er eine Papierrolle aus dem Ärmel und reicht sie seiner Begleiterin.
     
    IJUMI
(mit leisem Lachen)
Du hast noch im Yanagi irgendetwas verfasst. Du wolltest mir nicht zeigen, was du geschrieben hast. Nun hab ich eine Ahnung: Wohl ein Liebesgedicht? Und hier soll ich es lesen, an diesem schönen Ort?
     
    Sie nimmt mit einer Hand das Papier, mit der anderen die Laterne. Sie liest. Nach einer Weile beginnt die Laterne zu zittern.
     
    ERZÄHLER
    Ach, leider irrt Ijumi! Nein, es ist kein Gedicht.
Darin bekennt der Ninja, was sein Gewerbe ist.
Er schreibt, sie müsse sterben, der Tod sei ihr gewiss,
Sie könne sich nur retten, indem sie flieht ins Nichts.
Sie soll aus Tokio fortgehn, rasch und für alle Zeit
Und in der Fremde suchen ein anderes Geschick.
Verwirkt sei seine Ehre, weil er sie laufen ließ.
Ein Leben ohne Ehre sei sinnlos für den Mann.
Er müsse sein Versagen drum büßen mit dem Tod.
Doch wolle er zuvor noch verwischen ihre Spur.
Die Mörder sollten finden Ijumis Kimono,
Mit ihrem Blut besudelt – doch ihren Körper nicht.
Sie sollten denken, dass er, geworfen in die Schlucht,
Vom Wasser fortgetragen, vom starken, schnellen Strom.
Ob sie des Ninjas Leichnam fänden oder nicht,
Das spiele keine Rolle für den Jonin des Clans.
Er wüsste, dass der Ninja seinen Befehl erfüllt,
Doch offenbar den Drachen, des Jonins Talisman,
Nicht wiederfinden konnte und sich darum entleibt,
Wie das Gesetz der Ninja es von jedem
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