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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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verlangt,
Dem seine Ehre lieb ist. So will es alter Brauch.
Und in den letzten Zeilen dieses schrecklichen Briefs
Fleht sie der Unhörbare zum Abschied innig an:
Flieh! Rette dich! Lauf weg schnell! Lebe! Und mich vergiss.
Ich bleib für dich ein Schatten, ein Mann ohne Gesicht.«
     
    Der Unhörbare setzt die Maske wieder auf.
     
    Ganz ohne alle Fassung, bleibt nun Ijumi stumm.
Ja, sie kann sich nicht rühren, ihr scheint, das ist ein Traum,
Ein böser, schlimmer Alptraum. Wann wacht sie endlich auf?!
So nimmt sie ohne Worte Abschied vom stummen Freund …
     
    Er schlägt die Trommel.
    Der Unhörbare reißt den Schlangendolch heraus, durchbohrt sich die Kehle, beugt sich vor, damit das Blut auf den ausgebreiteten Kimono fließt, und stürzt in die Schlucht (in den dunklen Winkel zwischen Hamamichi und Bühne). Wasser plätschert. Ijumi schreit durchdringend. Sie wirft die Laterne hin – und alles versinkt in Dunkelheit.
    Ein Totensutra ertönt, begleitet von gleichmäßigen Trommelschlägen.
     
    Währenddessen verschwindet die Schauspielerin hinter dem Vorhang, mit Laterne und Kimono.
     
    Fünftes Bild
     
    Ijumis Zimmer Sie steht reglos auf der Schwelle ihres Zimmers, in das sie eben zurückgekehrt ist.
     
    ERZÄHLER
    Blind stolpernd durch das Dunkel, ohne den Weg zu sehn,
    Lief ziellos fort Ijumi durch sternenlose Nacht.
    Dann kommt sie wieder zu sich. Und sieht: Zurück ins Haus
    Trugen sie ihre Schritte ohne Verstand und Sinn.
    Wie eine Marionette am Abend, nach dem Spiel,
    Leblos in ihrer Truhe wieder liegt, Tag für Tag.
     
    Er schlägt die Trommel.
    Ijumi blickt sich langsam im Zimmer um, als sähe sie es zum ersten Mal, und setzt sich vor ihre Schatulle, das Profil dem Saal zugewandt. Sie schaut die Schatulle an und klappt den Deckel mit dem Spiegel auf.
     
    ERZÄHLER
    Vorm Spiegel hat Ijumi die meiste Zeit verbracht,
    Bewunderte das Abbild ihres schönen Gesichts.
    Auch jetzt sucht sie im Spiegel, in seinem glatten Glas
    Nach Antworten, als könne sie dort die Wahrheit sehn.
    »Er war Ninja, ein Mörder. Aber sag, wer bist du?
    Wozu bist du geboren? Was ist dein wahres Ich?«
    Das fragt sie ihren Spiegel in ihrer großen Not.
    Als ob darin das Abbild ihr Antwort geben könnt.
     
    IJUMI
(ekstatisch)
»Ein Leben ohne Ehre ist sinnlos für den Mann«, sprach er und ging dann von mir in tiefer, dunkler Nacht. Ich konnte nicht mehr fragen, vor Schrecken ganz erstarrt: »Aber kann ohne Ehre denn leben eine Frau?« Wer bin ich? Ich bin Geisha, darum ist es mein Weg, unsterblich zu verkörpern das Bild der schönen Frau. Um unsterblich zu werden, gibt es nur ein Rezept: Das Leben von Ijumi muss bald Legende sein. Poeme, Lieder, Dramen werden berichten dann vom Ninja und der Geisha, die einst die Liebe traf. Ein jeder dieser beiden war treu nur seiner Kunst. Als unverhofft die Liebe dann kreuzte ihren Weg, war nicht zu überwinden, was zwischen ihnen stand. Sie flogen in den Himmel, ganz weit und hoch hinauf; dort sind Liebe und Ehre in Harmonie vereint.
     
    Sie nimmt ihr Stilett aus der Schatulle und sieht es an. Leise, ohne jede Affektiertheit, fährt sie fort.
     
    Ach, das ist dumm, Geliebter. Ich will nur bei dir sein. Schluss jetzt mit diesem hohlen, dummen Geisha-Geschwätz. Durch schwarze Ewigkeiten fliegen wir beide bald, zwei leuchtende Kometen in sternenloser Nacht.
     
    Sie durchbohrt sich mit dem Stilett die Kehle. Das Licht erlischt, und über dem Saal flammen, wie zwei Kometen, zwei Lichtstrahlen auf.
     
    Vorhang.

Die Transkription japanischer Begriffe erfolgte nach den Regeln der international anerkannten Hepburn-Umschrift.
     
    Bei der Aussprache sind einige wenige Regeln zu beachten:
    ch wie deutsches tsch
    ei wie doppeltes e in Tee
    j wie deutsches dsch in Dschungel
    s scharfes s (ähnlich dem deutschen Doppel-s)
    y wie deutschesd j in Japan
    z weiches s wie in Sohn

Informationen zum Buch
    Die Welt des Theaters ist Fandorin fremd. Doch die schöne Diva Elisa macht, dass er sich bald für nichts anderes mehr interessiert. Er ahnt nicht, wie gefährlich das für ihn werden kann.
    Moskau 1911: Elisa, die Theater-Diva, von der zurzeit ganz Moskau hingerissen ist, fühlt sich bedroht. Als Fandorin die Diva auf der Bühne sieht, verliebt er sich Hals über Kopf in sie und ist nur zu gern bereit, herauszufinden, wer ihr etwas antun möchte. Denn er will Elisa für sich gewinnen. Doch die Schöne ist mit einem feurigen Kaukasier verheiratet.
    Fandorin ermittelt in der aufregenden und
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