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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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gründlich mit der muslimischen Kultur zu befassen, wofür er Arabisch lernen und den Koran im Original lesen musste (schätzungsweise drei Jahre); die klassische und zeitgenössische Literatur zu lesen (dafür hatte er immer zu wenig Zeit gehabt) und so weiter und so weiter.
    An sportlichen Aufgaben für die nächste Zeit: einen Aeroplan steuern lernen; ein Jahr der interessanten und für die Koordination nützlichen olympischen Sportart des Stabhochspringens widmen; Bergsteigen; unbedingt ohne Skaphander tauchen lernen, mit dem neuartigen Rebreather, bei dem ein vervollkommneter Regulator für die Sauerstoffzufuhr es gestattet, für einen längeren Zeitraum in beachtlichen Tiefen zu tauchen. Ach, es war gar nicht alles aufzuzählen!
    In den fünf Jahren, die verstrichen waren seit Fandorins Erschrecken vor seinem eigenen Schreck, hatte seine Methode desrichtigen Alterns beachtliche Resultate erbracht. Jedes Jahr hatte er eine neue Stufe erklommen – genauer gesagt, zwei, so dass er auf sich als Fünfzigjährigen nun von oben herabsah.
     
    Zu seinem einundfünfzigsten Geburtstag hatte Erast Petrowitsch zur intellektuellen Vervollkommnung Spanisch gelernt, das ihm bei seinen Seereisen in der Karibik so gefehlt hatte. Die physische »Stufe« war die Kunst der Dshigiten. Geritten war er natürlich auch früher schon, aber nicht eben glänzend, dabei war das eine nützliche und zudem äußerst spannende Angelegenheit, viel schöner als Autorennen, die ihn mittlerweile langweilten.
    Mit zweiundfünfzig sprach Fandorin Italienisch und hatte sich beträchtlich verbessert in der Beherrschung des Kenjutsu, des japanischen Schwertkampfs. Unterrichtet wurde er in dieser großartigen Kunst vom japanischen Botschafter Baron Shigema, einem Träger des höchsten Dan. Am Ende besiegte Erast Petrowitsch den Baron in zwei von drei Kämpfen (einen Sieg überließ er dem Sensei, um diesen nicht zu kränken).
    Das dreiundfünfzigste Jahr widmete Fandorin einerseits der antiken und neueren Philosophie (Fandorins Bildung beschränkte sich nämlich leider auf das Gymnasium), andererseits dem Motorradfahren, das in Punkto aufregender Empfindungen dem Reitsport in nichts nachstand.
    Im zu Ende gegangenen Jahr 1910 war Fandorins Geist ganz von der Chemie beherrscht, der sich am rasantesten entwickelnden modernen Wissenschaft, während er seinen Körper in der Kunst des Jonglierens übte (scheinbar nichtiger Spielkram, aber sehr nützlich für die Feinmotorik und die Körperbeherrschung).
    In der laufenden Saison schien es ihm logisch, vom Jonglieren zur Hochseilakrobatik zu wechseln – ein ausgezeichnetes Training für das körperliche und nervliche Gleichgewicht.
    Die intellektuellen Übungen hatten teilweise mit dem vorjährigenInteresse für die Chemie zu tun. Fandorin hatte beschlossen, diese zwölf Monate seiner alten Leidenschaft zu widmen – der kriminalistischen Wissenschaft. Die gesetzte Frist war bereits abgelaufen, doch Fandorin führte seine Forschungen fort, denn sie hatten eine überraschende und äußert vielversprechende Richtung eingeschlagen, mit der sich außer Erast Petrowitsch noch niemand beschäftigte.
    Die Rede ist von neuen Methoden der Arbeit mit Zeugen und Verdächtigen: Wie konnte man sie zu völliger Aufrichtigkeit stimulieren? In den barbarischen Zeiten hatte man sich dafür eines brutalen und recht unzuverlässigen Mittels bedient – der Folter. Fandorin fand heraus, dass die vollständigsten und zuverlässigsten Ergebnisse durch die Kombination dreier Methoden erzielt wurden – psychologische, chemische und hypnotische Einwirkung. Wenn man jemanden, der über eine benötigte Information verfügte, sie aber nicht preisgeben wollte, zunächst analysierte und seinem Typ entsprechend vorbereitete, dann seinen Widerstand mit Hilfe bestimmter Präparate schwächte und ihn anschließend unter Hypnose setzte, war dessen absolute Aufrichtigkeit garantiert.
    Die Ergebnisse der Experimente waren beeindruckend. Allerdings hegte Fandorin ernsthafte Zweifel an ihrem praktischen Wert. Nicht nur, dass Fandorin seine Entdeckungen um nichts in der Welt mit dem Staat teilen wollte (ihn graute bei der Vorstellung, wie die unsensiblen Herren der Geheimpolizei und der Gendarmerie diese Waffe einsetzen würden), nein, auch er selbst würde sich sicher nicht gestatten, bei einer Ermittlung einen Menschen, und sei er noch so schlecht, mittels chemischer Einwirkung zu manipulieren. Immanuel Kant, der sagte, dass man die Menschen
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