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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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kam kein Anruf – weder aus Petersburg noch aus Kiew. Erast Petrowitsch band eine weiße Krawatte um und begab sich, vergebens gegen seine Gereiztheit ankämpfend, ins Theater. Masa schärfte er ein, sich nicht vom Telefon zu entfernen und im Fall des Falles mit dem Motorrad zum Theater zu eilen.
    Der Tag des Gedenkens an Elisabeth
    Fandorin selbst nahm eine Droschke, weil er wusste, dass er zu der Stunde, da im Bolschoi, im Maly und im Neuen Theater gleichzeitig die Vorstellungen begannen, sein Automobil auf dem Theaterplatznirgends abstellen konnte. Beim letzten Mal, bei einem Besuch von Wagners »Walküre«, hatte er seinen Isotta-Fraschini unvorsichtigerweise zwischen zwei Kutschen geparkt, und ein heißblütiger Traber hatte mit einem Tritt mit dem dornengespickten Huf den verchromten Kühler zertrümmert – es hatte zwei Monate gedauert, bis aus Mailand ein neuer eintraf.
    In den wenigen Stunden seit dem Anruf der Schauspielerin hatte Erast Petrowitsch einige Informationen über das Theater zusammengetragen, in dem er den Abend verbringen sollte.
    Er wusste nun, dass die Truppe, die letzte Saison in Sankt-Petersburg entstanden war, in der ersten Hauptstadt bereits Furore gemacht, das Publikum bezaubert und die Kritiker in zwei unversöhnliche Fraktionen gespalten hatte, von denen die eine das Genie des Regisseurs Stern in den Himmel hob, die andere dagegen ihn einen »Scharlatan der Kunst« nannte. Viel wurde auch über Elisa Altaïrskaja-Lointaine geschrieben, doch hier sah das Meinungsspektrum ein wenig anders aus: es reichte von verzückter Bewunderung bei wohlwollenden Kritikern bis hin zu Bedauern bei boshaften – schade um das Talent der großartigen Schauspielerin, die ihre Gabe in den prätentiösen Aufführungen des Herrn Stern ruinieren muss.
    Jedenfalls war über die »Arche Noah« viel und leidenschaftlich geschrieben worden, nur las Fandorin normalerweise die Zeitungen nie bis zu der Seite, auf der Neuigkeiten aus dem Theater besprochen wurden. Erast Petrowitsch schätzte die Schauspielkunst leider nicht, er interessierte sich nicht dafür, und wenn er doch einmal ins Theater ging, dann ausschließlich in die Oper oder ins Ballett. Theaterstücke las er lieber selbst, um sich den Eindruck nicht durch die Ambitionen eines Regisseurs oder durch schlechtes Spiel verderben zu lassen (denn selbst in der besten Inszenierung gibt es immer jemanden, der gekünstelt spielt und damit alles verdirbt). Fandorin betrachtete das Theater als eine zum Aussterben verurteilteKunst. Wenn die Kinematographie sich erst richtig entwickelte, sich Ton und Farbe erschloss – wer würde dann noch viel Geld ausgeben, um sich Pappkulissen anzuschauen und so zu tun, als höre er das Flüstern des Souffleurs nicht, als entgingen ihm das Wehen des Vorhangs und das vorgerückte Alter der Jugendlichen Heldin?
    Für das Moskauer Gastspiel hatte die »Arche Noah« das Gebäude des ehemaligen Neuesten Theaters gepachtet, das jetzt einer gewissen »Gesellschaft für Theater und Kinematographie« gehörte.
    Auf dem berühmten Theaterplatz angelangt, musste Erast Petrowitsch bereits am Brunnen aussteigen – bis zum Theater vorzufahren war aufgrund der Ansammlung von Kutschen und Zuschauern unmöglich. Dabei fiel ins Auge, dass das Gedränge vor dem Neuesten Theater weit dichter war als vor dem gegenüberliegenden Maly-Theater mit seinem ewigen »Gewitter« 5 und selbst als vor dem Bolschoi, das die Saison mit der »Götterdämmerung« eröffnete.
    Wie geplant ging Fandorin zunächst zum Anschlag, um sich anzuschauen, wer alles zur Truppe gehörte. Vermutlich beruhten die herzzerreißenden Leiden der Diva, wie üblich in der Theaterwelt, auf Intrigen eines Kollegen. Um das schreckliche Geheimnis zu lüften und die alberne Geschichte so rasch wie möglich abzuschließen, musste er sich zunächst die Namen der Akteure notieren.
    Der Titel des Stücks verdarb dem Theatergänger wider Willen endgültig die Laune. Mit finsterem Blick betrachtete er das affige Plakat mit den Vignetten und sagte sich, dass der Abend noch quälender zu werden versprach als vermutet.
    Erast Petrowitsch verabscheute die Karamsin-Erzählung »Die arme Lisa«, die als Meisterwerk des Sentimentalismus galt, und zwar aus persönlichen, äußerst gewichtigen Gründen, die nichts mit Literatur zu tun hatten. Noch mehr schmerzte es ihn, zu lesen,die Aufführung sei »dem Gedenken an die heilige Elisabeth« gewidmet.
    Just in diesem Monat ist es fündunddreißig
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