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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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Jahre her, dachte Fandorin, schloss für einen Moment die Augen und schüttelte sich, um die schreckliche Erinnerung zu vertreiben.
    Um sich davon zu lösen, ließ er seiner Gereiztheit freien Lauf.
    »Was für eine alberne Phantasie – im z-zwanzigsten Jahrhundert solchen altmodischen Quatsch aufzuführen!«, murmelte er. »Und wo ist da genug Stoff für eine ›Tragödie in drei Akten‹, selbst ohne Pause? Und dafür nehmen sie auch noch erhöhte Preise!«
    »Wünschen Sie eine Karte, mein Herr?« Ein Mann mit einer über die Augen gezogenen Schirmmütze fasste ihn unter. »Ich habe eine Karte fürs Parkett. Ich wollte die Vorstellung selbst besuchen, muss aber aus familiären Gründen leider darauf verzichten. Ich kann sie Ihnen überlassen. Ich habe sie aus dritter Hand, sie ist also, verzeihen Sie, recht teuer.« Mit einem raschen Blick streifte er den Londoner Smoking, die geometrisch perfekten Kragen und die schwarze Perle in der Krawatte. »Fünfundzwanzig …«
    Unerhört! Fünfundzwanzig Rubel, und das nicht einmal für einen Logenplatz, sondern fürs Parkett! In einem höchst boshaften Artikel über das Gastspiel der »Arche Noah«, betitelt mit »Erhöhte Preise«, hatte Fandorin von den exorbitant teuren Karten für die Vorstellungen der gastierenden Truppe gelesen. Ihr Leiter, Herr Stern, besaß großes unternehmerisches Talent. Er hatte sich eine höchst effektive Methode des Kartenverkaufs ausgedacht. Die Plätze in den Logen, im Parkett und im ersten Rang kosteten doppelt oder sogar dreimal so viel wie üblich, dafür gelangten der zweite Rang und die Galerie gar nicht in den Verkauf, sondern wurden für geringes Entgelt unter der studierenden Jugend verlost. Die Lose für Studenten und höhere Töchter kosteten fünfzig Kopeken; jedes zehnte Los gewann. Der glückliche Gewinner konnte entweder selbst in das Theater gehen, über das so viel geredet und geschriebenwurde, oder seine Karte vor der Vorstellung verkaufen und mit seinen fünfzig Kopeken einen ordentlichen Gewinn machen.
    Diesen Einfall, der den Verfasser des Zeitungsartikels zutiefst empört hatte, fand Fandorin ziemlich klug. Erstens kosteten so die billigsten Plätze bei Stern trotzdem zehn Rubel (wie ein guter Parkettplatz im Bolschoi). Zweitens redete das ganze studentische Moskau über die »Arche Noah«. Drittens saßen in jeder Vorstellung viele junge Leute, und deren Begeisterung fördert den Erfolg eines Theaters am meisten.
     
    Ohne den Spekulanten einer Antwort zu würdigen, schritt Erast Petrowitsch finster entschlossen auf eine Tür mit der Aufschrift »Verwaltung« zu. Hätte Fandorin seine Karte drinnen abholen müssen, wäre er umgekehrt und gegangen. Um keinen Preis hätte er sich an den vielen Leuten vorbeigedrängt. Aber Olga Leonardowna hatte gesagt: »Fünf Schritte neben der Tür, auf der Treppe, wird ein Mann mit grünem Portefeuille stehen …«
    Tatsächlich: Genau fünf Schritte entfernt von der die Tür belagernden Menge stand, an die Wand gelehnt, ein breitschultriger Mann in einem Nadelstreifen-Anzug, der einen gewissen Kontrast zu seinem derben, wie aus braunem Lehm geformten Gesicht bildete. Ungerührt, die lärmenden Liebhaber der Melpomene gleichgültig ignorierend, stand der Mann da und pfiff vor sich hin, ein auffälliges grünes Portefeuille unter den Arm geklemmt.
    Fandorin konnte nicht gleich zu dem gestreiften Herrn vordringen; ständig drängelten sich andere vor. Sie hatten allesamt eine diffuse Ähnlichkeit mit dem Gauner, der Erast Petrowitsch fünfundzwanzig Rubel für eine Karte abknöpfen wollte – sie waren ebenso flink, huschten umher wie Schatten und sprachen hastig und gedämpft.
    Der Besitzer des grünen Portefeuilles fertigte sie rasch ab, ohneein einziges Wort – er pfiff nur. Bei dem einen kurz und spöttisch, woraufhin derjenige unverzüglich verschwand. Beim nächsten drohend – und derjenige zog sich zurück. Beim dritten wohlwollend.
    Der Chef der Schwarz- und Zwischenhändler, konstatierte Fandorin. Schließlich hatte er die Kunstpfeiferei und das unablässige hin und her Gerenne satt. Er trat auf die Treppe, hielt den nächsten der wie aus dem Nichts auftauchenden Schatten an der Schulter zurück und sagte, wie ihm aufgetragen worden war:
    »Ich komme von Frau Knipper.«
    Zum Antworten kam der Pfeifer nicht. Erneut schob sich jemand zwischen ihn und Fandorin, der ihn jedoch nicht bei der Schulter oder einem anderen Körperteil packte – aus Respekt vor seiner Uniform. Es
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