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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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den Kopf zerbrechen.
    »Gehört der junge Mann zu Ihnen?«, fragte der liebenswürdige Herr mit einem Blick auf den Kornett (der mit seinem Feldstecher den Stuck an der Decke studierte).
    »Ja.«
    »Nun denn, herzlich willkommen …«
    In den wenigen Minuten bis zum Beginn – während das Publikum raschelte, knarrte und sich schnäuzte – erzählte der neue Nachbar Fandorin von der »Arche Noah«, und zwar mit einer solchen Sachkenntnis, dass dieser seinen ersten Eindruck revidieren musste: kein Bankier oder Anwalt, nein, vermutlich ein wichtiger Theatermann oder ein einflussreicher Kritiker.
    »Die Meinungen über Sterns Talent als Regisseur sind geteilt, aber als Geschäftsmann ist er zweifellos ein Genie«, begann Zarkow gesprächig, wobei er sich ausschließlich an Fandorin richtete, als säßen sie beide allein in der Loge. Aber der Kornett Limbach schien nur froh, dass er nicht weiter beachtet wurde.
    »Er hat mit seinen Vorstellungen eine Woche vor Saisonbeginn angefangen und dieses Monopol sozusagen voll genutzt. Das Publikum strömte ihm zu, erstens, weil es sonst nirgendwohin gehen konnte, zweitens startete er gleich mit drei Inszenierungen, über die in der letzten Saison ganz Petersburg gestritten hat. Zuerst zeigte er ›Hamlet‹, dann ›Drei Schwestern‹ und jetzt ›Die arme Lisa‹. Wobei er vorab erklärte, jedes Stück würde nur ein einziges Mal laufen. Und nun sehen Sie, was am dritten Abend los ist.« Der Theaterkenner wies mit einer ausholenden Geste auf den überfüllten Saal. »Das Ganze ist zudem ein hinterhältiger Schlag gegen den wichtigsten Konkurrenten, das Künstlertheater. Sie wollten nämlich in diesem Jahr das Publikum mit Neuinszenierungen von ›Drei Schwestern‹ und ›Hamlet‹ überraschen. Ich versichere Ihnen, nach Stern wird das Publikum jede Neuinterpretation, und sei sie noch so innovativ, nüchtern finden. Und ›Die arme Lisa‹, das ist schlicht eine Provokation. Weder Stanislawski 6 noch Jushin 7 hätten gewagt,diesen Stoff auf die Bühne zu bringen. Aber ich habe die Aufführung in Petersburg gesehen. Ich versichere Ihnen, das ist etwas! Die Lointaine als Lisa ist göttlich!« Der glatzköpfige Herr küsste seine Fingerspitzen – an einem blitzte ein beeindruckender Brillant auf.
    Nein, wohl kaum ein Kritiker, dachte Erast Petrowitsch. Wie käme ein Kritiker zu einem Solitär von einem Dutzend Karat?
    »Aber das Interessanteste kommt erst noch. Ich erwarte von der ›Arche‹ in dieser Saison sehr viel. Nach dem salvenartigen Auftakt mit drei Vorstellungen unterbrechen sie für einen Monat. Der schlaue Stern gibt dem Künstlertheater, dem Maly und Korsch 8 Gelegenheit , dem Publikum ihre Neuheiten zu zeigen – er tritt quasi beiseite. Und danach, im Oktober, will er mit einer eigenen Premiere herauskommen und damit natürlich ganz Moskau anlocken.«
    Fandorin verstand zwar wenig von den Gepflogenheiten des Theaters, doch das erschien ihm seltsam.
    »A-aber erlauben Sie, das Gebäude ist doch gepachtet? Wie kann ein Theater einen ganzen Monat ohne Einnahmen auskommen?«
    Zarkow zwinkerte listig.
    »Die ›Arche‹ kann sich diesen Luxus leisten. Die ›Gesellschaft für Theater und Kinematographie‹ verpachtet ihnen das Gebäude mit allen Dienstleistungen für einen Rubel im Monat. Oh, Stern versteht sich einzurichten! In einem, anderthalb Monaten stellt er eine komplett neue Inszenierung auf die Beine. Noch ist unbekannt, um was für ein Stück es sich handeln wird, aber schon jetzt wird eine Karte für die Premiere mit fünfzig Rubeln gehandelt!«
    »Was heißt – noch unbekannt?«
    »Genau das! Er spekuliert auf den Überraschungseffekt. Morgen versammelt Stern seine Truppe, und da wird er den Schauspielern mitteilen, welches Stück sie proben werden. Übermorgen wirdes in allen Zeitungen stehen. Und das Ziel ist erreicht: Das Publikum wird gespannt auf die Premiere warten. Egal, was sie inszenieren. Oh, mein lieber Herr, vertrauen Sie meinem Gefühl. Dank der ›Arche Noah‹ steht Moskau eine unerhört fruchtbare Saison bevor!«
    Das sagte er mit so echtem Gefühl, dass Erast Petrowitsch seinen Nachbarn voller Respekt ansah. Eine so aufrichtige, selbstlose Liebe zur Kunst nötigte ihm unwillkürlich Achtung ab.
    »Aber psst! Es geht los. Gleich kommt etwas – das wird ein Knüller!« Der Theaterfreund kicherte. »Diesen Kunstgriff hat Stern in Petersburg nicht gezeigt …«
    Der Vorhang öffnete sich. Vor die gesamte Hinterbühne war ein weißes Tuch
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