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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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tigerte er unruhig durch die Wohnung, ließ seine Jadekette durch die Finger gleiten oder zeichnete allein ihm selbst verständliche Schemata. Dabei rauchte er Zigaretten und verlangte ständig nach Tee, aß jedoch fast nichts.
    Masa – Diener, Freund und einziger ihm nahestehender Mensch – wusste sehr gut, dass er seinen Herrn in diesem Zustand lieber in Ruhe ließ. Der Japaner war die ganze Zeit in Fandorins Nähe, kam ihm jedoch nicht unter die Augen und verhielt sich mucksmäuschenstill. Er sagte zwei Rendezvous ab und schickte die Hauswartsfrau mehrfach zum Kaufmann nach Tee. Die schmalen Augen des Asiaten funkelten leidenschaftlich – Masa erwartete interessante Ereignisse.
    Im vorigen Jahr war auch Fandorins treuer Vertrauter fünfzig geworden und diesem Meilenstein mit echt japanischem Ernst begegnet. Er hatte sein Leben noch radikaler geändert als sein Herr.Erstens hatte er sich, der alten Tradition folgend, den Kopf kahlgeschoren – zum Zeichen, dass er innerlich in einen mönchischen Zustand wechselte und sich, um sich auf das Jenseits vorzubereiten, von allem Eitlen lossagte. Allerdings hatte Fandorin nicht feststellen können, dass Masa seine Liebesgewohnheiten geändert hätte. Aber die Regeln der japanischen Mönche verlangten ja keine körperliche Enthaltsamkeit.
    Zweitens hatte Masa beschlossen, einen neuen Namen anzunehmen, um sich endgültig von seinem früheren Ich zu lösen. Hier ergab sich eine Schwierigkeit: Es stellte sich heraus, dass man nach den Gesetzen des Russischen Reichs seinen Namen nur bei der Taufe ändern konnte. Doch dieses Hindernis schreckte den Japaner nicht ab. Mit Vergnügen wechselte er zum orthodoxen Glauben, hängte sich ein gewaltiges Kreuz um und bekreuzigte sich inbrünstig vor jeder Kirchenkuppel und bei jedem Glockenläuten, was ihn jedoch nicht hinderte, nach wie vor Räucherstäbchen vor seinem heimischen buddhistischen Altar abzubrennen. Auf dem Papier hieß er nun nicht mehr Masahiro, sondern Michail Erastowitsch (nach seinem Taufpaten). Fandorin musste mit dem frischgebackenen Knecht Gottes auch seinen Familiennamen teilen – der Japaner hatte ihn darum gebeten, als höchste Auszeichnung, die ein treuer Vasall für lange, eifrige Dienste von seinem Herrn bekommen kann.
    Doch Papiere hin oder her, Erast Petrowitsch hatte sich das Recht ausgebeten, seinen Diener weiterhin Masa zu nennen. Und unterband gnadenlos jeden Versuch seines Patensohnes, ihn »Otoo-san« (Vater) zu nennen oder gar »Batjuschika« 3 .
     
    Erast Petrowitsch und Michail Erastowitsch saßen nun also vier Tage ununterbrochen zu Hause und blickten in Erwartung eines Anrufs immer wieder ungeduldig zum Telefon. Der lackierte Kastenblieb stumm. Mit Lappalien wurde Fandorin selten behelligt, kaum jemand kannte seine Telefonnummer.
    Am Montag, dem 5. September, um drei Uhr nachmittags, klingelte das Telefon endlich.
    Masa packte den Hörer – er polierte den Apparat gerade mit einem Samttuch, als wolle er den launischen Gott gnädig stimmen.
    Fandorin ging ins Nebenzimmer und trat ans Fenster, um sich innerlich auf die wichtige Unterredung einzustimmen. Ich muss maximale Vollmachten verlangen und absolute Handlungsfreiheit, dachte er. Oder ablehnen. Das erstens …
    Masa schaute zur Tür herein. Sein Gesicht wirkte konzentriert.
    »Ich weiß nicht, auf wessen Anruf Sie all die Tage gewartet haben, Herr, aber ich vermute, das ist er. Die Stimme der Dame zittert. Sie sagt, die Sache sei dringend, von
auße-le-ohden-te-licheh Wichtige-keite.«
Die letzten Worte hatte Masa auf Russisch gesagt.
    »Eine Dame?«, fragte Erast Petrowitsch erstaunt.
    »Hat gesagt, ›Oliga‹.«
    Vatersnamen hielt Masa für unnütze Dekoration, darum merkte er sie sich selten und ließ sie häufig weg.
    Fandorins Verwunderung legte sich. Olga … Natürlich. Das war zu erwarten gewesen. In einem so verworrenen Fall mit womöglich unvorhersehbaren Komplikationen wollte die Regierung nicht direkt eine Privatperson um Hilfe bitten. Es war angemessener, über die Familie zu gehen. Mit Olga Borissowna Stolypina, der Frau des verwundeten Premierministers, einer Urenkelin des großen Feldherrn Suworow, war Fandorin bekannt. Eine starke, kluge Frau, sie ließ sich von keinem Schicksalsschlag unterkriegen.
    Sie wusste natürlich, dass sie sehr bald Witwe sein würde. Es war nicht ausgeschlossen, dass sie aus eigenem Antrieb anrief, weil sie spürte, dass die offiziellen Ermittlungen schleppend verliefen.
    Nach einem tiefen
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