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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva
Autoren: B Akunin
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geräumig: sechs Zimmer, Bad, Wasserleitung, Strom, Telefon – für 135 Rubel im Monat, inklusive der Kohle für die holländischen Kachelöfen. In diesen Wänden absolvierte Fandorin den größten Teil seines intellektuellen und sportlichen Programms. Hin und wieder stellte er sich mit Behagen vor, wie er sich eines Tages, wenn er der Reisen und Abenteuer überdrüssig war, für immer in der Swertschkow-Gasse niederlassen und sich ganz dem interessanten Prozess des Alterns hingeben würde.
    Eines Tages. Noch nicht jetzt. Noch nicht so bald. Wahrscheinlich mit über siebzig.
    Von Überdruss war Erast Petrowitsch einstweilen weit entfernt. Jenseits des Heimchenofens gab es noch zu viele rasend interessante Orte, Ereignisse und Phänomene. Manche Tausende Kilometer entfernt, manche mehrere Jahrhunderte.
    Vor rund zehn Jahren hatte Fandorin begonnen, sich für die Unterwasserwelt zu interessieren. Er hatte sogar ein eigenes Tauchboot entworfen und gebaut, das auf der entfernten Insel Aruba lag und dessen Konstruktion er ständig verbesserte. Das erforderte enorme Ausgaben, doch nachdem Erast Petrowitsch mit Hilfe des Unterseebootes eine wertvolle Fracht vom Meeresboden hatte bergen können, hatte das Hobby sich nicht nur mehr als rentiert, sondern ihn darüber hinaus auch der Notwendigkeit enthoben, von Honoraren für Ermittlungen und detektivisch-kriminalistische Beratungen zu leben.
    Nun übernahm er nur noch die interessantesten Fälle oder solche, die er aus verschiedenen Gründen nicht ablehnen konnte. Jedenfalls war der Status eines Mannes, der jemandem einen Gefallen oder einen Dienst erwies, weit angenehmer als der eines noch so geschätzten bezahlten Dienstleisters.
    Seine Ruhe hatte Fandorin nur selten und nie für lange. Das verdankte er dem Ruf, den er sich in internationalen Profikreisen in den letzten zwanzig Jahren erworben hatte. Seit dem unseligen japanischen Krieg suchte auch sein eigener Staat häufig die Hilfe des unabhängigen Experten. Manchmal lehnte Erast Petrowitsch ab – seine Vorstellungen von Gut und Böse deckten sich nicht immer mit denen der Regierung. Zum Beispiel übernahm er höchst ungern innenpolitische Fälle, es sei denn, es handelte sich um eine besonders üble Tat.
    Das Attentat auf den Premier roch nach einer solchen üblen Geschichte. Es gab dabei verdächtig viele unerklärliche Merkwürdigkeiten. Nach Fandorins vertraulich eingeholten Informationen waren gewisse Kreise in Petersburg derselben Ansicht. Freunde aus der Hauptstadt hatten Fandorin per Telefon mitgeteilt, dass der Justizminister am Vortag nach Kiew gereist sei, um die Ermittlungen persönlich zu leiten. Das bedeutete, dass er kein Vertrauen hatte zur Geheimpolizei und dem Polizeidepartement. Heute oder morgen würde man den »unabhängigen Experten« Fandorin hinzuziehen. Wenn nicht, konnte das nur bedeuten, dass die Fäulnis im Staatsapparat auch die oberste Spitze durchdrungen hatte …
     
    Erast Petrowitsch wusste bereits, wie er vorgehen würde.
    Über den Einsatz chemischer Mittel musste er noch nachdenken, psychologische und hypnotische Methoden aber konnte man bei dem Täter durchaus anwenden. Vermutlich würden diese genügen. Der Terrorist Bogrow sollte vor allem eines gestehen: wessen Werkzeug er war, wer ihm die Besucherkarte besorgt und ihn mit einem Revolver ins Theater gelassen hatte.
    Außerdem wäre es nicht übel, den Chef der Kiewer Geheimpolizei, Oberstleutnant Kuljabko, und den für die Sicherheitsmaßnahmen zuständigen Vizedirektor des Polizeidepartements, Staatsrat Werigin, zum Reden zu bringen. Bei diesen beiden in höchstem Maße verdächtigen Herren musste man eingedenk ihrer Tätigkeit und ihrer allgemeinen Unsensibilität nicht sonderlich heikel sein. Hypnotisieren würden sie sich wohl kaum lassen, aber er konnte sich mit jedem zu einem Tete-à-tete in inoffiziellem Rahmen verabreden und dem Oberstleutnant ein geheimes Präparat in seinen geliebten Kognak und dem Nichttrinker Werigin in den Tee tröpfeln. Dann würden sie schon von der rätselhaften Besucherkarte erzählen und auch, warum in der Pause kein einziger Leibwächter bei dem Premier gewesen war. Und das, obwohl Stolypin schon seit Jahren von Sozialrevolutionären, Anarchisten und Einzelkämpfern gegen die Tyrannei gejagt wurde.
     
    Der Gedanke, in das Attentat auf das Regierungsoberhaupt könnten die für die Sicherheit des Imperiums verantwortlichen Organe involviert sein, ließ Fandorin schaudern. Seit drei Tagen
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