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Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf
Autoren: Reginald Hill
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aber dann weißt du wenigstens, warum es weh tut. Halboffen zu sein bringt nichts. Was nicht ganz offen ist, kann ebenso ganz geschlossen sein. Kam das in einem Stück vor, oder stammt das von mir? Manchmal ist es schwierig, das auseinanderzuhalten.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Pascoe und versuchte sich ihrem leichten Ton anzupassen. »Nach Shakespeare hört es sich nicht an.«
    »Nein? Du meinst, du kennst deinen Shakespeare?«
    »Besser als die Mysterienspiele.«
    »Nun, heute hast du die Chance, sie kennenzulernen! Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es sich lohnt!«
    Sie sah ihn nicht länger an, doch gerade als er seine Muskeln anspannte, um in einen Sprint auszubrechen, lehnte sie sich weit über das Geländer und versuchte den Prozessionswagen zu sehen, der, nach dem Lärm zu urteilen, genau vor der Kathedrale vorbeizufahren schien. Solange sie sich so weit vornüberbeugte, wagte er noch nicht einmal, einen winzigen Schritt zu machen.
    »Lohnt es sich nicht mit Sicherheit, wenn man dabei etwas lernt?« sagte er.
    Sie stellte sich wieder aufrecht hin, und sein Pulsschlag kehrte zu müden fünfzig Prozent über normal zurück.
    »Hängt davon ab, was man letztendlich lernt«, sagte sie. »Mit Schauspielen ist das so eine Sache, Peter. In allen geht es um Schmerz, wußtest du das? Selbst in der Komödie. Besonders in der Komödie. Die endet mit einer Vereinigung, die Tragödie mit einer Trennung, weil das die einzige Antwort ist, die wir gefunden haben. Ich weiß alles über Trennung. Mama starb, als ich achtzehn war, Papa, als ich sechsundzwanzig war. Überrascht dich das, Peter? Ein großes Mädchen wie ich, das ihren Vater und ihre Mutter vermißt? Aber ich war nichts und nirgendwo ohne sie. Und ich habe nie jemand anderen gefunden, weil ich zu beschäftigt war, daß andere Leute mich fanden. Es ist eine Scheißwelt. Lies die Zeitungen, sieh dir das Fernsehen an, von allen Seiten kommt es knüppeldick, und es wird immer schlimmer. Bleib bei Ellie, Junge. Zwei Leute, die zusammenhalten, können den ganzen Mist wenigstens eine Weile abwehren. Mehr ist eine Komödie nicht – eine aufgeschobene Tragödie!«
    Er sah, wie sie vor ihm zusammenbrach und Schmerz und Verzweiflung sichtbar wurden. Es war mehr, als er ertragen konnte, doch in seinem Schmerz fühlte er eine Beimischung von Groll. So durfte Eileen Chung nicht sein, nicht sie, die wie eine Göttin zu ihnen gekommen war und für ihre heilende Berührung nichts weiter als Anbetung verlangt hatte.
    Er trat noch einen weiteren Schritt auf sie zu und sagte eindringlich: »Ist es denn nicht möglich, einen Sinn zu finden? Geht es denn in all den Schauspielen, Büchern und Kunstwerken nicht genau darum?«
    »Glaubst du?« sagte sie. »Und was macht man, wenn man feststellt, daß Shakespeare uns am Ende nichts weiter als Resignation zu bieten hat? Und daß alles, was die Mysterien zu bieten haben … ein Mysterium ist?«
    »Eileen, um Himmels willen, ich meine, um meinetwillen, um unsertwillen. Egal, was du empfindest, wir lieben dich, wir brauchen dich.«
    »Lieben«, sagte sie. »Brauchen.« Als wären es Fremdworte.
    Weit unten hatte das Lärmen der Menschenmenge bei Dalziels Ankunft einen Höhepunkt erreicht. Da lächelte Chung plötzlich und war im Nu wieder ihr schönes, starkes Selbst.
    »Herr im Himmel, Peter, du siehst ja schrecklich aus! Sieh mich an, alles ist in Ordnung, Junge. Du brauchst nicht zu mir zu laufen, um mich festzuhalten! Du glaubst doch nicht etwa, daß ich jemanden, den ich so sehr mag wie dich, dabei zusehen lasse, wie ich springe? Los, komm schon! Der liebe Gott fährt unten vorbei, und das Ende der Show ist nahe. Es ist an der Zeit, die nächste zu planen! Ich bin jedoch wirklich froh, daß du hier bist. Hättest du etwas dagegen, mich die widerliche Treppe hinunterzuführen? Ich finde sie wirklich unheimlich. Du wirst es mir nicht glauben, aber ich habe eine Heidenangst vor dem Fallen!«
    Sie entfernte sich von der Brüstung, lachte fröhlich, und Pascoe, dessen Glieder vor Erleichterung zitterten, lachte ebenfalls, als er sich der Türöffnung zuwandte.
    Doch schon als er sich lachend abwandte und sie aus den Augen verlor, wußte er, daß er einen Fehler gemacht hatte.
    Blitzschnell drehte er sich um, und sein Verstand rotierte weiter, während seine Augen verzweifelt nach einem Zeichen, einer Spur suchten. Doch schon bevor er sich umgewandt hatte, hatte er gewußt, daß er in diesem Moment allein auf dem Turm war.
    Während die
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