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Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf
Autoren: Reginald Hill
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bis die Prozession vorbei ist. Sie müssen zurückfahren und …«
    Endlich fiel ihm auf, daß Pascoe ihm keinen Führerschein unter die Nase hielt. »Tut mir leid, Sir, ich habe Sie nicht erkannt. Die Straße geradeaus ist …«
    »Machen Sie, daß wir da irgendwie durchkommen«, knirschte Pascoe ihn an.
    Einige Minuten später hatte der Polizist die ärgerlichen Zuschauer von ihren schwer erkämpften Aussichtspunkten verscheucht und Pascoe und Wield auf die Strecke gebracht, die die Prozession nehmen sollte. Zu seiner Linken erblickte Pascoe deren Vorhut. Eileen Chung hatte sich vielleicht bei den nubischen Sklavinnen zurückgehalten, aber davon abgesehen hatte sie bei ihrer Suche nach Gottes Fülle ins Volle gegriffen. Dalziels Wagen schien gute zehn Minuten Verspätung zu haben, was bedeutete, daß er erst in einer knappen halben Stunde zwischen der Kathedrale und dem Haus des Stiftsherrn hindurchfahren würde. Pascoes Anspannung ließ ein wenig nach.
    Wield war in die Briefakte vertieft. Einiges von dem, was er las, ging ihm unter die Haut, und Pascoes Nervosität übertrug sich allmählich auf ihn; er behielt sie aber unter Kontrolle. Es war wichtig, einen kühlen Kopf zu behalten. Es hatte keinen Sinn, wenn sie beide planlos losstürmten.
    Als sie durch den torlosen Torbogen des Münsterplatzes fuhren, wurden sie vom ironischen Jubel der gedrängten Zuschauermengen begrüßt, die, den lieben Gott hoch oben auf einer Theatermaschine erwartend, sich über das Paar bloßer Sterblicher in einem Sierra amüsierten. Noch einmal trat ihnen ein wütender Polizist in den Weg, doch diesmal wurden sie erkannt, bevor er den Mund aufmachte.
    »Stell den Wagen auf einem sicheren Plätzchen ab, Junge«, befahl Pascoe und stieg aus. »Ich bin im Haus von Kanonikus Horncastle. Los, komm, Wieldy.«
    Aktenordner und Zeitung fest unter den Arm geklemmt, eilte Wield wieder einmal hinter Pascoe her, der sich seinen Weg wie ein Rugbyspieler, der die Linie sieht, durch die Menschenmenge bahnte. Er holte ihn an dem unansehnlichen Eingang eines düsteren, schmalen Hauses ein, das genau gegenüber dem großen Turm der Kathedrale stand.
    »Peter«, sagte er. »Da ist etwas …«
    Aber auf Peters herrisches Klopfen hin hatte sich bereits die Tür geöffnet, und eine dunkelgekleidete Gestalt betrachtete sie mit der Verachtung eines viktorianischen Butlers, der es nicht fassen kann, den Gemüsehändler am Vordereingang anzutreffen.
    »Was um alles in der Welt hat denn dieser Lärm zu bedeuten?« fragte Kanonikus Horncastle.
    »Polizei«, sagte Pascoe. »Dürfen wir eintreten?«
    Da er die Bitte über die Schulter aussprach, schien sie Wield ein wenig überflüssig. Der Stiftsherr sah das genauso, denn sein schmales Gesicht wurde so rot wie Packeis während einer Seehundjagd, und er schrie: »Wie können Sie es wagen, sich auf diese Weise Eintritt in mein Haus zu verschaffen!«
    »Ich würde gern mit Ihrer Frau sprechen, Sir«, sagte Pascoe.
    »Mit meiner Frau!« stieß Horncastle aus, als hätte Pascoe eine Unanständigkeit von sich gegeben. »Ich versichere Ihnen, Inspector, oder was immer Ihr Rang, Sie werden nicht mit meiner Frau sprechen, ohne mir erheblich detailliertere Gründe genannt zu haben, als Sie bisher für nötig hielten.«
    »Danke, daß du als mein Beschützer auftrittst, Eustace, aber ich denke, ich bin alt genug, um das selbst zu entscheiden.«
    Die Stimme kam vom Absatz einer braunlackierten Treppe, die sich aus der trotz des warmen sonnigen Tages dunklen und feuchtkalten Diele nach oben schwang. Die Frau war als Umriß vor dem Licht des Fensters auf dem Treppenabsatz zu sehen, und nachdem, was Wield erkennen konnte, mochte sie in der Tat in der einen Hand eine Giftflasche tragen und mit der anderen durch ihr blutbeflecktes Nachthemd einen Dolch in ihr weidwundes Herz stoßen. Solche Vorstellungen schienen völlig im Einklang mit dieser Gruft und ihrem leichenblassen Herrn und Meister zu sein, doch als die Frau herabgestiegen kam, zeigte sich, daß sie ein leichtes graues Twinset nebst einem Tweedrock trug und nichts Bedrohlicheres in der Hand hielt als eine Brille.
    Pascoe machte einen Schritt nach vorn, um ihr entgegenzugehen. Zum dritten Mal in weniger als einer Stunde sah er sich der delikaten Aufgabe gegenüber herauszufinden, ob die Frau, mit der er sprach, kurz davorstand, sich umzubringen. Bei Pam Waterson hatte er die Frage mehr oder weniger direkt gestellt. Bei Shirley Appleyard hatte er seine Beobachtungen
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