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Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf
Autoren: Reginald Hill
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sputen, sie einzuholen.
    »Mrs. Appleyard, hätten Sie einen Augenblick Zeit für uns?«
    »Ich dachte, wir hätten bis zur Verhandlung nichts mehr miteinander zu tun«, sagte sie und lief weiter.
    »Ja, tut mir leid. Und es tut mir auch leid wegen Ihrer Mutter. Zum Glück klingt es nicht schlimm.«
    »Ach ja? Aber wenn sie ein Bein verloren hätte, dann würde es schlimm klingen, was?«
    »Ja, natürlich, aber …«
    »Das, was sie verloren hat, hat eine viel größere Lücke hinterlassen!«
    Sie hielt inne und drehte sich um, so daß sie vor Pascoe stand. Einen Augenblick sah es so aus, als würde sie in die Luft gehen, dann atmete sie tief durch und gewann ihre Selbstbeherrschung wieder.
    »Entschuldigung«, sagte sie. »Sie können ja nichts dafür. Ich hatte selbst keine Ahnung. Ich bin tatsächlich so dumm gewesen, davon auszugehen, daß sie sich nach Paps’ Tod, wenn sie erst einmal den Schock überwunden hätte, richtig erholen und anfangen würde, das Leben zu genießen. Ich bildete mir ein, ich hätte die größere Lücke zu füllen, weil Tony und ich jung gewesen waren und mir noch dämliche romantische Vorstellungen im Kopf herumspukten, von denen ich nichts wußte. Da sehen Sie, was ich vom Leben weiß! Ich habe mir Mühe gegeben, so richtig bestürzt zu sein, als ich von Tonys Tod erfuhr, aber immer kam mir so etwas wie Erleichterung in die Quere. Nicht Erleichterung, daß er tot war, seinen Tod habe ich nicht gewollt, aber Erleichterung, daß ich mir keine Gedanken mehr darüber zu machen brauchte, was los war. Mama hingegen hatte über zwanzig Jahre mit Paps ausgehalten, so war es zumindest bei mir angekommen. Aber es ist eben nicht einfach nur Aushalten gewesen. Da ist eine Menge mehr gewesen. Nur habe ich es nie wahrgenommen, und da sage ich zu ihr, sie soll sich zusammenreißen und das Leben genießen, als hätte sie gerade im Lotto gewonnen, und die ganze Zeit …«
    Sie schüttelte den Kopf vor Selbstvorwürfen.
    »Jeder hätte das so gesehen, glauben Sie mir«, sagte Pascoe ernst.
    »Es wäre schön, wenn man sich das einreden könnte«, sagte das Mädchen. »Aber es stimmt nicht. Ich habe gestern dieser älteren Lady, die ich im Kemble kennengelernt habe, was vorgejammert. Eileen Chung hatte mich gebeten, ein paar Plakate zu machen, wußten Sie das? Und dann habe ich auch bei anderen Sachen mitgeholfen, Kulissen malen und so. Es waren jede Menge Leute da. Es ist wirklich wunderbar, wie Eileen die Leute dazu bringt, mit Hand anzulegen. Ich meine, normalerweise hätte ich zu jemandem wie dieser Mrs. Horncastle nicht mehr als ›Hallo‹ gesagt. Sie ist die Frau von einem Stiftsherrn und redet immer total vornehm, aber wenn Chung in der Nähe ist, zählt das alles nicht, und ich fing an, mich über Mama zu beklagen und daß sie nicht in der Lage sei, sich ein bißchen hübsch zu machen. Sie hat nicht viel erwidert, sie muß aber mit Eileen Chung gesprochen haben, denn als nächstes hat Eileen neben mir gearbeitet und über meine Mutter gesprochen, und plötzlich habe ich alles völlig anders gesehen. Merkwürdig, nicht? Eileen hatte sie nur das eine Mal getroffen und schien mehr über sie zu wissen als ich. Als ich gestern abend nach Hause kam, begann ich, mit meiner Mutter zu reden, wirklich mit ihr zu reden, nicht bloß Vorträge zu halten, und plötzlich antwortete sie mir, und so hatte ich sie noch nie zuvor gehört. Sie redete immer weiter, es war wie eine einzige große Flut. Ich habe mir immer eingebildet, daß es einem danach bessergeht, weil man es rausgelassen hat. Aber bei ihr war das nicht der Fall. Sie hat von ihrem gemeinsamen Leben gesprochen, von allem, was gut und schlecht war. Am Ende war sie erschöpft, mehr als erschöpft, sie brach zusammen. Ich dachte, sie hätte einen Herzanfall, und rief den Arzt. Der hat sie eingewiesen. Es heißt, es sei nichts Ernstes. Sie hat nur ihre ganze Kraft aufgebraucht, um durchzuhalten, und ich habe es nicht mitgekriegt, ich habe es nicht mitgekriegt …«
    In ihren Augen standen Tränen. Pascoe nahm ihren Arm und drückte ihn hilflos. Sein Leid schien homöopathisch auf ihres zu wirken, denn sie gewann sofort ihre Fassung wieder und fragte: »Aber wie dem auch sei, weswegen sind Sie gekommen?«
    Pascoe warf Wield einen kurzen Blick zu und sagte: »Nichts. Wir hatten nur eine medizinische Frage zu klären, das war alles, dann hat uns jemand von Ihrer Mutter erzählt …«
    »Sonst nichts? Dann muß ich los. Ich will nicht in dem
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