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Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf
Autoren: Reginald Hill
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1. Januar
    Lieber Mr. Dalziel,
    Sie kennen mich nicht. Warum sollten Sie? Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich mich selbst nicht kennen. Kurz vor Weihnachten schlenderte ich über den Markt, da blieb ich auf einmal wie angewurzelt stehen. Die Leute rempelten mich an, aber das war mir egal. Ich war nämlich wieder zwölf und trug gerade ganz behutsam Milch, die ich auf einem Bauernhof geholt hatte, in einem Krug über eine Wiese in der Nähe von Melrose Abbey. Vor mir sah ich unser Zelt und unser Auto sowie meinen Vater, der sich im Außenspiegel rasierte, und meine Mutter, die sich über den Campingkocher beugte. Der Duft des gebratenen Specks stieg mir in die Nase. Er roch so gut, daß mir der leckere Geschmack in den Sinn kam und ich vermutlich unwillkürlich einen Schritt zulegte. Im Nu verfing sich mein Fuß in einem Grasbüschel, so daß ich stolperte und die Milch nach allen Seiten spritzte. Für mich ging fast die Welt unter, doch meine Eltern lachten nur. Sie reichten mir einen riesigen Teller mit Speck, Eiern, Tomaten und Pilzen, und zu guter Letzt war es fast so, als liebten sie mich, da ich die Milch verschüttet hatte, mehr, als wenn ich sie heil zu ihnen gebracht hätte.
    Da stand ich also wie ein Idiot, war allen im Weg, während ich innerlich wieder zwölf war und mich unendlich geliebt und behütet fühlte. Und wie war es dazu gekommen?
    Ich war am Marktcafé vorübergegangen, und der Ventilator hatte den Geruch gebratenen Specks in die kühle Morgenluft gewirbelt. Wie kann ich also sagen, daß ich mich kenne, wenn ein schlichter Duft mich in andere Welten versetzen kann?
    Sie hingegen kenne ich. Nein, wie arrogant das klingt, nach dem, was ich soeben geschrieben habe! Was ich meine, ist, daß man mir Sie gezeigt hat. Und ich habe zugehört, wenn die Leute über Sie sprachen. Eine ganze Menge, genaugenommen das meiste, war nicht gerade ein Kompliment für Sie, aber ich schreibe hier keinen Schmähbrief und will Sie nicht kränken, indem ich es wiederhole. Doch selbst diejenigen, die keinen guten Faden an Ihnen ließen, räumten ein, daß Sie gute Arbeit leisten und sich nicht scheuen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ach ja, und es hieß auch, daß Sie für Dummköpfe nicht unbedingt eine Schwäche hätten.
    Nun, für den Dummkopf hier brauchen Sie keine Schwäche zu haben. Ich schreibe Ihnen nämlich, weil ich mich umbringen will.
    Ich meine nicht sofort. Doch irgendwann demnächst, mit Sicherheit im Lauf der kommenden zwölf Monate. Es ist so eine Art guter Vorsatz fürs neue Jahr. Doch bis es soweit ist, brauche ich einen Menschen, dem ich mein Herz ausschütten kann. Natürlich kommt niemand in Frage, den ich persönlich kenne. Auch keine Ärzte, Psychiater und wer sonst noch das Helfen zu seinem Beruf gemacht hat. Mein Brief ist nämlich nicht der berühmte Hilfeschrei. Mein Entschluß steht fest. Es geht nur noch darum, den Termin zu bestimmen. Doch ich verspüre den merkwürdigen Drang, über mein Vorhaben zu reden, Andeutungen fallenzulassen und Winke mit dem Zaunpfahl zu geben. Gegenüber Freunden wäre das aber ein zu gefährliches Spiel. Für meine Ergüsse brauche ich ein Ventil, das ich steuern kann. Und dafür habe ich Sie erkoren.
    Es tut mir leid. Dergleichen ist immer eine große Belastung. Doch bei dem, was die Leute über Sie reden, kam auch heraus, daß meine Briefe für Sie nichts weiter als ein Fall sein werden. Möglicherweise irritierend, aber keine Gefährdung Ihres Schlafs!
    Ich hoffe, daß ich Sie richtig einschätze. Einem fremden Menschen Leid zuzufügen wäre das letzte, was ich wollte – insbesondere da ich weiß, daß meine allerletzte Handlung darin bestehen wird, meinen Freunden Leid zuzufügen.
    Ein frohes neues Jahr!

Eins
    I ch verstehe noch immer nicht, warum sie sich erschossen hat«, sagte Peter Pascoe verbohrt.
    »Weil sie sich gelangweilt hat. Weil sie in der Falle saß«, entgegnete Ellie Pascoe.
    Pascoe bediente sich seines Stocks, um die Beschaffenheit der Chaiselongue zu prüfen, über deren Seite vor dreißig Minuten noch der meisterlich zerstörte Kopf der Toten gebaumelt hatte. Das Möbel war so hart, wie es aussah, doch sein Bein tat ihm weh, und er setzte sich mit einem Seufzer der Erleichterung hin, den er aber sogleich in ein Gähnen verwandelte, als er den scharfen Blick seiner Frau auf sich spürte. Er wußte, daß sie seiner Behauptung, er sei fit genug, um am folgenden Tag wieder zum Dienst zu gehen, mit Skepsis gegenüberstand.
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