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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Autoren: Milena Moser
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als ich. Sie kann es auch nicht.
    Die Wäsche war zerknittert, manche Teile rochen muffig, weil Mama nicht die Geduld gehabt hatte, sie ganz trocknen zu lassen, bevor sie sie zusammenlegte. Poppy dachte an die Gläser, die nicht abgetrocknet waren. An die Unterschriften, die ihre Mutter vergaß. Nicht immer war Poppy schuld, wenn Herr Schumacher mit ihr schimpfte. Ja, sie hatte das Aufgabenbuch vergessen, aber ihre Mutter hatte auch vergessen, es zu unterschreiben! Herr Schumacher mochte es nicht, wenn man die Schuld auf andere schob, deshalb sagte Poppy nichts. Aber an diesem Nachmittag ging sie der Reihe nach die Verfehlungen ihrer Mutter durch:
    Sie stand jeden Morgen zu spät auf und weckte Poppy zu spät. Sie stellte die Tasse mit der heißen Schokolade so hart auf den Tisch, dass sie überschwappte. Sie stritt mit Poppys Vater, der einen Kaffee im Stehen trank und dabei immer auf die Uhr schaute. Poppys Vater lebte sein eigenes ordentliches Leben in seinem Büro, das er selten verließ. Er kam spät nach Hause, machte sich sein Abendessen selber. «Überstunden», nannte er es. Er brachte seine Wäsche zu seiner Mutter, bei der er auch oft zu Mittag aß. Andere Väter, das wusste Poppy, kamen zum Mittagessen nach Hause. Großmutter mochte Mama nicht, Poppy hatte gehört, wie sie sie genannt hatte: eine verwilderte Bergziege.
    Wenn man den Schrank im Flur öffnete, fielen Taschen, Gürtel und Schirme heraus. Die Milch war manchmal sauer, weil ihre Mutter sie nach dem Frühstück nicht gleich in den Kühlschrank zurückstellte. Poppys Mutter sah nicht aus wie andere Mütter, zum Besuchstag in der Schule kam sie zu spät, weil sie das Zimmer nicht gefunden hatte. Ihr Lippenstift war nicht immer auf den Lippen. Sie hatte ihre Haare zusammengebunden, nicht hochtoupiert und geföhnt und mit Haarlack fixiert. Das tat sie nur, wenn sie mit Poppys Vater ausging. Dazu brauchte sie einen ganzen Nachmittag, und am Ende musste er trotzdem auf sie warten.
    Poppy schwor sich, sie würde alles besser machen. Gleich jetzt würde sie damit beginnen. Sie riss die zerknüllten Leintücher und Wolldecken von der Matratze und machte ihr Bett ganz neu, sie strich die Tücher glatt, sie kämpfte mit den Ecken. Das war gar nicht so einfach, sie konnte verstehen, dass ihre Mutter sich diese Mühe nur selten machte. Aber endlich sah das Bett so aus, wie Poppy es sich vorstellte, ordentlich und glatt. Poppy legte ihre rote Tagesdecke darüber und setzte ein paar Plüschtiere dazu. Vorsichtig setzte sie sich darauf. Regine hatte ihr Bett an die Wand geschoben und mit ein paar bunten Kissen zur Couch umfunktioniert. Auf Poppys Bett hatte man bisher nicht sitzen können. Sie legte sich auf das Bett und stellte sich vor, sie wäre erwachsen und würde alles richtig machen. Sie würde den Wecker jeden Tag eine Stunde früher stellen, sie würde eine Dusche nehmen und sich anziehen und frisieren, bevor ihr Mann und ihre Kinder wach wären. Sie würde sie erst wecken, wenn sie den Frühstückstisch gedeckt hatte. Sie hätte eine Handtasche mit verschiedenen Fächern, in denen sie immer alles finden konnte, Schlüssel, Portemonnaie, Sonnenbrille. Und eine Liste, auf der alles stand, was sie zu erledigen hatte. Eine Liste, die sie nur noch abhaken musste, Zeile für Zeile. Und über dem Abwaschbecken würde keine Postkarte hängen, sondern ein Stundenplan.
    Poppy liebte es, neue Stundenpläne auszufüllen, mit sorgfältigen runden Buchstaben trug sie die Fächer ein, und für eine kurze Zeit schien alles möglich und überschaubar. Durchführbar. Doch dann wischte sie mit dem Handballen über die noch feuchte Tinte oder knickte eine Ecke ein oder stieß ein Glas um. Dann merkte sie, dass sie alles eine Stunde zu spät eingetragen hatte, weil die erste Stunde, halb acht bis Viertel nach, in das oberste Feld gehörte, das sie für einen Zwischenraum gehalten hatte. Der Moment, in dem Poppys Leben überschaubar und ordentlich schien, hielt nie lange an.
     
    Poppy faltete den Rutschschutz zusammen, rollte die Matte sorgfältig auf, nahm ihre Decke, ihre Wasserflasche, ihr Buch. Sie stand auf. Sie ging zur Tür. Achtete darauf, nicht auf eine der Matten zu treten. Sie bildete sich ein, den angehaltenen Atem im Raum zu hören, die durch die Luft schwirrenden Gedanken: Was, haut die einfach ab? Aber alle Blicke waren dorthin gerichtet, wo Poppy nicht hinschauen wollte, auf die Matte, auf den Blutfleck.
    «Es geht schon wieder», sagte jemand.
    Sie geht
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