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Die Legende der Wächter 4: Die Belagerung

Die Legende der Wächter 4: Die Belagerung

Titel: Die Legende der Wächter 4: Die Belagerung
Autoren: Kathryn Lasky
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Der Pilger

    Der braune Fischuhu legte verwundert den Kopf in den Nacken. Zuletzt hatte sich der Komet vor drei Monaten gezeigt. Was war das dann für ein rot glühender Punkt am Himmel? Der Punkt kam beängstigend schnell angesaus t – großer Glaux ! – und er stieß im Flug die übelsten Verwünschungen und Flüche aus.
    Der Fischuhu trippelte ans Ende des Platanenastes, der über den See ragte. Wenn es sich nicht um einen Artgenossen handelte, würde der Unbekannte Hilfe brauchen. Mit Ausnahme von Fischuhus sind Eulen im Wasser völlig hilflos. Der Fischuhu breitete die Schwingen aus und machte sich startklar. Er hatte es noch nicht aufklatschen gehört, da war er schon von seinem Ast aufgeflogen.
    Als Kludd ins Wasser eintauchte, zischte es vernehmlich und kleine Dampfwolken stiegen auf. So etwas hatte der Fischuhu, er hieß übrigens Simon, noch nie erlebt: eine Eule, die glühte wie ein Stück Holzkohle aus einem Waldbrand und sich ins Wasser stürzte. War der Fremde ein Glutsammler? Unwahrscheinlich, denn die Glutsammler waren so geschickt, dass sie sich bei ihrer gefährlichen Arbeit nicht eine einzige Feder versengten. Gerade noch rechtzeitig packte Simon den Fremden. Doch als er ihm ins Gesicht schaute, erstarrte sein Magen zu Eis, denn eine undefinierbare Masse aus geschmolzenem Metall und geschwärzten Federstummeln blickte ihn an. Was war dem fremden Eulerich zugestoßen?
    Doch das war jetzt unwichtig. Hauptsache, der Fremde lebte noch. Simon gehörte der in den Nordlanden ansässigen Glaux-Bruderschaft an. Als Pilger war es nicht seine Aufgabe, Fragen zu stellen, jemandem Predigten zu halten oder ihn gar zu bekehren. Seine Aufgabe war es, anderen zu helfen und ihnen Trost und Zuneigung zu schenken. All dies schien der Unbekannte bitter nötig zu haben. Um anderen Eulen in der Not beizustehen, verließen die Glaux-Brüder regelmäßig ihre entlegene Insel, auf der sie sich sonst ihren Studien widmeten. Sie zogen in die Welt hinaus und erfüllten ihre heilige Pflicht an ihren Miteulen. Wie pflegte der Abt immer zu sagen: „Sich in Büchern zu vergraben, kann auch zu schädlichem Selbstzweck werden. Unsereiner ist verpflichtet, seine Erkenntnisse weiterzugeben und in tätige Liebe zu verwandeln.“
    Es war Bruder Simons erste Pilgerreise und der schlimm zugerichtete Unbekannte erschien ihm als erste große Herausforderung. Jemand musste ihn gesund pflegen, das war offensichtlich. Aus dem Nest gefallene Eulenküken wieder in ihre Baumhöhlen zu tragen, verfeindete Krähensippen miteinander zu versöhne n – die Glaux-Brüder gehörten nämlich zu den wenigen Eulen, die erboste Krähen zur Vernunft bringen konnte n –, das war alles Kinderkram im Vergleich zu dieser Aufgabe. Simon würde sein ganzes heilkundliches Wissen aufbieten müssen, damit der Ärmste wieder zu Kräften kam.
    „Ganz ruhig, mein Lieber, ganz ruhig“, sprach er besänftigend auf den Verbrannten ein, als er ihn in die Baumhöhle in der Platane bugsierte. „Es wird alles gut, ganz bestimmt.“ Wieder einmal bedauerte Simon, dass er keine Nesthälterin hatte. Wie bequem hatte es sich doch auf der heimischen Insel gelebt! Doch die Pilger sollten das einfache Leben kennenlernen. Sie mussten ohne die Blindschlangen auskommen, die sonst das Ungeziefer von Eulennestern fernhielten. Ein Pilger beschäftigte keine Dienstboten, seine Aufgabe war es im Gegenteil, anderen zu dienen. Darum musste Simon jetzt auch selbst losziehen und Heilwürmer beschaffen. Blutegel waren für schwere Brandwunden am besten geeignet und als Fischuhu hatte er Übung im Blutegelsammeln.
    Simon bettete Kludd auf ein weiches Lager aus Moos und Daunenfedern, die sich der junge Glaux-Bruder aus dem eigenen Brustgefieder zupfte. Dann flog er ans Seeufer hinunter. Er kannte eine Stelle, wo es von Blutegeln nur so wimmelte. Unterwegs dachte er über seinen Schützling nach. Bei dem fremden Eulerich schien es sich um ein Schleiereulenmännchen zu handeln. Er hatte sich gewehrt, als ihm Simon liebevoll das Gefieder glätten wollte. Merkwürdig. Simon hatte noch nie erlebt, dass eine Eule diesen Freundschaftsdienst zurückwies. Und dabei war das Gefieder des Fremden furchtbar schmutzig und struppi g – ein wahres Wunder, dass er überhaupt noch fliegen konnte! Nur mit gepflegtem Gefieder konnte man lautlos und stetig fliegen. Die Flugfedern von Eulen haben sogenannte Federstrahlen mit winzigen Häkchen daran, die sich ineinander verzahnen. Auf diese Weise entsteht eine
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