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Gartengeschichten

Gartengeschichten

Titel: Gartengeschichten
Autoren: Eva Demski
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Der Garten meiner Mutter
    »diese dornen – sie sind der beste teil an dir.«
    Marianne Moore
    Sie starb im Dezember, als ihr Garten sich längst zur Ruhe begeben hatte. Sie war nicht krank gewesen, hatte ihn noch, wie es sich gehört, für den Winter bereitgemacht: die Töpfe in den Keller und ins Treppenhaus geschleppt, die Rosen angehäufelt und etwas zurückgeschnitten, Sorgenkinder abgedeckt, Zwiebeln gelegt. Die holländische Gartenmafia züchtet Zwiebeln, die ein einziges Mal blühen und dann nie mehr, hatte sie sich, wie in jedem Jahr, aufgeregt. Meine Mutter war eine Gartensozialistin mit immer wachem Mißtrauen gegen die Machenschaften der Industrie, die selbst vor so unschuldigen Bereichen wie ihrem Garten nicht haltmachte. Ganz im Gegenteil. Jedes Gartencenter war für sie eine Mahnung, die Revolution nicht zu vergessen.
    Sie steckte voller Geschichten über die Pharmaindustrie, von Insektiziden vergiftete Billigarbeiter in Drittweltländern, genverseuchtes Saatgut und was dergleichen grüne Teufeleien mehr sind.
    Natürlich hatte sie mit allem recht, ich mochte es aber nicht hören. Der Garten sollte politikfreies Gebiet sein, fand ich. Das sah sie nicht ein, ihr gelang es im Gegensatz zu mir, Entzücken an ihrem paradiesischen Stück Erde und Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit und Finsternis aller menschlichen Existenz jederzeit in Einklang zu bringen.
    Nun war sie tot, wir begruben ihre Urne, und ihr Garten schlief noch immer tief. Schnee fiel in diesem Winter, nicht viel, aber genug, um alles gleich aussehen zu lassen – ihrenGarten und die Nachbargärten. Über die hatte sie sich oft lustig gemacht: Schwarzwald für Arme. Nagelscherenrasen. Manchmal war sie auch neidisch: Schau dir diese Maréchal Niel an. Bei mir das reinste Läusefestival!
    In den drei Jahren, die sie nach dem Tod meines Vaters allein verbrachte, beschwerte sie sich manchmal über ihren Garten wie über ein Lebewesen, das unmäßige Forderungen stellt.
    Elfhundert Quadratmeter, viel zuviel für einen einzelnen Menschen. Du weißt ja nicht, was das heißt, du mit deinem Handtuch!
    Und schon war es wieder da, unser zuverlässiges Begleitgespenst: das schlechte Gewissen.
    Nicht, daß mein Vater der große Gartenhelfer gewesen wäre, sein Gebiet war eher die Grenzüberschreitung zwischen Erdarbeiten und Utopie: Da muß ein Teich hin! Hier könnte man ein Gartenhaus brauchen!
    Jetzt fehlten ihr die Pläne, gegen die sie sich hätte wehren können, um dann irgendwann doch nachzugeben. Man könnte sagen, daß aus Zukunft eine zunehmend mühevolle Abfolge von Gegenwärtigkeit geworden war. Schon wieder Hecken schneiden, schon wieder mähen, schon wieder jäten.
    Momente des Entzückens stellten sich seltener ein – die blühende Spalieraprikose an der Südwand, die lodernde weiße Strauchpäonie, unter der unser erster Kater, Angkor, begraben lag – er war ein ganz besonderer Liebling gewesen. Die Katzen, die ihm gefolgt waren, hatten ihr Friedhöfchen in der dunklen Kompostecke, jede mit eigenem Stein, auf dem ihr Namen stand: Michi, Afra, Amu, Thymian. Geblieben war ihr Pascha, der vierundzwanzigjährige Kater, der sie um eineinhalb Jahre überleben sollte.
    Nicht einmal die Trauer über alles Verlorene konnte ihr Erstaunen über das, was in jedem Frühjahr aus unscheinbarenSamenkörnchen wurde, mindern. Sie hatte sich in ihrem letzten Winter schon Jiffy-Pots und vielversprechende Tütchen für den März zurechtgelegt.
    Der Garten meiner Eltern war ein Sechzigerjahregarten auf zwei Ebenen, mit Pool in der oberen, am Haus. Das Grundstück war, als sie es kauften, eine bezaubernde Wildnis aus Flieder- und Brombeerbüschen, alten Obstbäumen und jeder Menge Kanadischer Goldruten gewesen, der Lieblingsplatz aller Kinder der Umgebung. Die haßten jetzt meine Eltern, die Käufer.
    Reihenweise verschwanden damals die Kinderwildnisse – Brachen, Trümmergrundstücke, anarchische Traum- und Sündenorte, wunderbares, erwachsenenfreies Land, wo man rauchen und sich in der Liebe versuchen konnte. Die Erwachsenen holten es sich zurück und machten Besitz daraus. Ich fühlte mit den Vertriebenen, denn mir war es wenige Jahre zuvor genauso gegangen. Auf meinem Kinderkontinent am Frankfurter Alleenring wurden die Erweiterungsbauten des Hessischen Rundfunks errichtet. Kurz danach war ich dann erwachsen. So ging es den erbitterten Kindern aus unserer neuen Nachbarschaft auch, und später kamen sie zu uns zum Schwimmen.
    Während der obere Teil des
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