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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Autoren: Milena Moser
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zweimal. Sie aß seit zwanzig Jahren kein Fleisch mehr, sie spülte sich die Nasenlöcher mit Salzwasser aus, sie konnte die Füße im Nacken verschränken, während sie auf den Händen balancierte, sie konnte ihren großen Bauchmuskel hervortreten und rotieren lassen wie einen Quirl. Sie war so gesund, wie ein Mensch nur sein konnte. Als Kind hatte sie Ballett getanzt, sie wusste, was sie ihrem Körper abverlangen konnte. Nevada übte noch härter, noch länger. Die Handgelenke kräftigen, dachte sie und baute Chatturangha Dandasana , die Yoga-Liegestütze, ein, wo sie nur konnte.
    Der Schmerz wurde stärker. Sie rieb sich die Handgelenke. Zog die Pulloverärmel bis über die Fingerspitzen. Dann kroch der Schmerz in die Schulter, und sie dachte, das sei ein gutes Zeichen. Etwas löst sich, dachte sie. Wenn sie nur nicht so müde wäre.
    Sie wickelte elastische Binden um die Handgelenke. Dann konnte sie deren Druck nicht ertragen und riss sie wieder hinunter. Sie musste ihre Ringe abstreifen. Der dünne rote Faden, den sie seit ihrem letzten Meditationsretreat umgebunden trug, schien mitten in der Nacht Feuer zu fangen und sich in ihre Haut zu brennen. Sie biss ihn mit den Zähnen durch wie ein gefangenes Tier seine Fesseln. Doch ihre Fesseln lagen tiefer. Unter der Haut. Sie kam nicht an sie heran.
    Danach hatte sie lange wach gelegen, die Hände zwischen den Brüsten versorgt, und sich gefragt, was es wohl für karmische Konsequenzen haben würde, dass sie den von ihrem Meditationslehrer gesegneten Faden durchgebissen hatte. Ob sie ihn anrufen, um einen neuen Faden bitten konnte? War der Schmerz bereits die Strafe? Wenn ja, wofür?
    Der Faden war mit einem Wunsch verbunden gewesen, der in Erfüllung gehen sollte, wenn der Faden sich auflöst. Das hatte sie jetzt wohl verhindert. An ihren Wunsch konnte sie sich ohnehin nicht mehr erinnern. Etwas Ungefähres vermutlich, wie «Klarheit». Jetzt hatte sie nur noch einen Wunsch, und der war klar: Aufhören! Es soll aufhören!
    Die Stunde am Montagabend war eine ihrer liebsten. Sie kannte die meisten ihrer Schüler schon länger. Lakshmi, der das Yogastudio am Wasser gehörte, fand, sie unterrichte zu viel.
    «Du dominierst das Studio», hatte sie gesagt. «Lass doch auch mal die jüngeren Lehrerinnen ran!» Die Yogalehrerinnen, die sie selber ausbildete, wollten schließlich beschäftigt sein. Doch Nevadas Klassen waren immer voll. Ihre Schüler schätzten ihre anstrengenden und klarstrukturierten Lektionen. Sie wollten schwitzen, nicht beten. Nevada verlor keine Zeit mit dem Rezitieren unverständlicher Sanskritverse. Bei ihr gab es nur einatmen, die Arme zur Decke strecken, ausatmen, mit den Händen den Fußboden berühren.
    Zwanzig Minuten bevor die Lektion begann, öffnete Nevada den Raum, rollte die Matten aus, zündete eine Kerze an. Dann setzte sie sich unter den kleinen Altar, auf dem eine Statue des Elefantengottes Ganesha neben einer Vase mit frischen Blumen stand.
    Ganesha, mach die Schmerzen weg, dachte Nevada. Aufgabe des Elefantengottes war es schließlich, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Allerdings auch, sie einem vor die Füße zu legen. Es war gut möglich, dass Ganesha ihr diese Schmerzen untergejubelt hatte. Doch warum? Sollte sie aus dem Gleichtritt gebracht, gebremst werden? Worüber sollte sie nachdenken? Ganesha, ich tue alles, aber bitte nimm mir den Schmerz!
    Nevada bezweifelte, dass Ganesha sich erbarmen würde. Er war hart im Nehmen, schließlich hatte ihn sein eigener Vater aus Versehen geköpft und dann in der Eile mit einem Elefantenkopf versehen, dem erst noch ein Stoßzahn fehlte. Brennende Hände konnten ihn nicht beeindrucken. Nevada öffnete die Augen und richtete sich auf. Sie saß mit gekreuzten Beinen und im Schoß gefalteten Händen. So beobachtete sie die eintreffenden Schüler. In der ersten Reihe sah sie Poppy, eine ihrer treuesten Schülerinnen, die ihre Matte immer auf denselben Platz legte, links, gleich bei der Tür. Poppy starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Als ob sie sich etwas von Nevada erhoffte. Eine Antwort? Nevada schien diese Hoffnung jedes Mal neu zu enttäuschen, und doch starrte Poppy sie zu Beginn jeder Stunde so an, unbeirrbar. Später würde sich ihr Blick verlieren. Poppy würde Nevadas Ansagen ignorieren und eine wahllose Abfolge von Asanas ausführen, die ihr eine innere Stimme zu diktieren schien.
    Weiter hinten erkannte Nevada Marie, die nur unregelmäßig kam. Sie war Oberärztin im
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