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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Autoren: Milena Moser
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nahegelegenen Kantonsspital und arbeitete oft abends oder nachts. Marie hatte die Augen fest geschlossen, die Stirn gerunzelt, wie ein Kind, das innerlich bis zehn zählt. Marie schlief manchmal in der Endentspannung ein, auf dem Rücken liegend, den Mund leicht geöffnet, den Atem zu einem leisen Schnarchen verdickt.
    Liegen. Schlafen. Nur nicht daran denken. Das Bild eines liegenden Körpers war schon zu viel. Sie war so müde. Wie konnte ein Mensch so müde sein? Sie konnte sich kaum aufrecht halten. Hatte sie geschlafen? Sie wusste es nicht mehr.
    «Einatmen.» Sie hob ihre Hände über den Kopf, zog sie durch immer zähflüssigeren, schnell härtenden Beton. Als sich die Handflächen über ihrem Kopf berührten, weinte sie beinahe. Sie presste die Lippen zusammen.
    «Ausatmen.» Sie beugte sich vor. Ihre Arme schlackerten. Sie führte die Gruppe durch die ersten Sonnengrüße, langsam, da war ein Neuer, ein junger Mann in modischer Turnhose, der mit Mühe den Rücken beugte, die Hände nach unten streckte, weit vom Fußboden entfernt. Immer wieder hob er den Kopf, schaute sich im Raum um, sein Blick huschte verstohlen über die Frauenkörper, die ihn umgaben. Später würde sie den Pfau vorführen, Männer reagierten auf solche Demonstrationen der Überlegenheit.
    «Chatturangha Dandasana» , sagte sie.
    Langsam senkte sich ihr Körper in die Stütze, flach wie ein Brett. Eine Handbreit über dem Fußboden hielt sie inne, wandte den Kopf zur Klasse, die Hälfte der Schüler lag flach auf dem Bauch. Am liebsten hätte sie es ihnen gleichgetan. Diese Schwere, die sie seit Wochen begleitete, drückte sie nieder.
    « Urdvha Mukho Svanasana , der hinaufschauende Hund.»
    Sie streckte die Arme durch, reckte den Oberkörper nach oben, legte den Kopf in den Nacken, sie hatte noch nie einen Hund in dieser Stellung gesehen.
    «Ausatmen, Adho Mukha Svanasana, der hinabschauende Hund.» Fünfzehn Hinterteile reckten sich in die Luft.
    «Weiteratmen», befahl Nevada. Sie wollte aufstehen, durch den Raum gehen, ihre Hand auf den Rücken des Neuen legen, seine Stellung korrigieren. Sie sah, wie sein Blick wanderte, ihr Geist wanderte mit, und plötzlich knickten ihre Handgelenke weg. Ihr Hintern blieb einen Augenblick in der Luft hängen, als könnte er ihren Körper dort verankern. Im nächsten Augenblick lag sie flach auf der Matte. Blut füllte ihren Mund.
     
Ted
     
    Da stand er nun. Mit gebeugten Beinen und gesenktem Kopf. Umringt von Frauen, die ihre Hintern in die Luft streckten. Einer schöner als der andere. Satt verpackt in Schwarz und Grau. Ein riesiger, wassermelonenroter, schwebte direkt vor ihm. Wenn er den Kopf hob, wenn er sich nach vorne reckte … Schweiß tropfte von seinem Gesicht und auf die schwarze Gummimatte. Was tat er hier? Wie zum Teufel war er hier gelandet? Er war der einzige Mann. Der Witz seines Lebens. Er war neununddreißig Jahre alt, Primarlehrer, einer von zwei Männern in einem Lehrerzimmer voller Frauen, er hatte eine Tochter, die er nicht verstand, eine Exfrau, die nichts mit ihm zu tun haben wollte, eine Mailbox voll mit Stimmen von Frauen, mit denen er nichts zu tun haben wollte. Umzingelt von Frauen – bis in die Yogastunde hinein. Die Probestunde war immerhin gratis. Er hatte also nichts verloren. Und eine gute Geschichte zu erzählen. Wenigstens würde er in Zukunft mithalten können, wenn andere von ihren Yogastunden berichteten.
    Und das nur, weil Tina zu spät gekommen war. Weil er zu denen gehörte, die einen Film von Anfang an sehen müssen, die nicht nach Beginn noch in den dunklen Kinosaal schleichen können. Nun war er hier, in seiner ersten Yogastunde überhaupt, und die Lehrerin lag auf der Matte und blutete. Sollte er in dieser lächerlichen Stellung verharren, den Hintern in der Luft? Seine Arme zitterten bereits. Yoga ist nichts für Weicheier, dachte er. Dann ging er in die Knie.
    Tina kam fast immer zu spät. Das Wochenende begann manchmal am Donnerstag und endete am Dienstag. Aber auch darauf konnte er sich nicht verlassen. Er hätte es besser wissen müssen. Der Film würde gleich beginnen. Es gab nur ein Kino in der kleinen Stadt. Er hatte nur einen Freund.
    Er hasste das. Wenn die Kleine schon im Mantel auf dem Sofa saß, ihre Tasche neben sich, und starr vor sich hin schaute. Jeder Versuch, sie noch einmal in ein Gespräch zu verwickeln, in ein Spiel zu ziehen, scheiterte an ihrem starren Blick. Er bemühte sich, nicht auf die Uhr zu schauen, er spielte mit
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