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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Autoren: Milena Moser
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Marie hatte es doch gesehen, das leichte Zögern, mit dem Nevada ihre Hände auf die Matte setzte, das Atemholen, mit dem sie sich Mut machte. Schmerzen, dachte Marie jetzt, typisches Anzeichen für einen Schmerz, den man schon kennt. Für einen Schmerz, von dem man schon weiß, dass er unausweichlich ist. Der Sturz selber war unspektakulär gewesen, die Arme eingeknickt, der Körper auf die Matte gesenkt, fast hätte man es für Absicht halten können. Marie war einen Augenblick lang abgelenkt gewesen durch einen Blick, den sie auf ihrem Hintern spürte wie eine Berührung. Sie hatte nicht gleich gemerkt, dass das Innehalten, flach auf dem Bauch, nicht gewollt war. Dass Nevadas Gesicht unnatürlich in die Matte gepresst war. Dass der Fleck, der sich unter ihr ausbreitete, Blut war.
    Der Assistenzarzt schlug fahrig ein paar Untersuchungen vor, Marie unterbrach ihn: «Ob Sie sich die Patientin noch einmal kurz anschauen könnten? Nähen muss man nicht, aber mir gefällt nicht, dass ihre Handgelenke eingeknickt sind. Ich werde sie an den Rheumatologen überweisen.»
    Warum haben Sie sie dann hergebracht?, fragte der Blick des Assistenten. Doch er leuchtete Nevadas Mund aus und bestätigte Maries Urteil. Genäht werden musste nicht. Marie fühlte sich plötzlich leer.
    Sie fuhr Nevada, die in einem Zimmer über dem Yogastudio wohnte, zurück in die Fabrik am Wasser. Es war nach elf, doch die Bar im Erdgeschoss war voll. Marie setzte sich an den Tresen, bestellte ein Käsebrot und ein Glas Rotwein. In einer Ecke saßen zwei Yogaschüler, sie nickte ihnen zu, wurde aber nicht beachtet. Ineinander versunken saßen sie an einem Ecktisch, ihre Hände berührten sich nicht, aber ihre Blicke konnten nicht voneinander lassen. Marie wusste noch genau, wie sich das anfühlte. Sie erinnerte sich an den Anfang. Damals hatten sie beide unmögliche Arbeitszeiten gehabt, die sie vom normalen Leben ausschlossen. Sie trafen sich zu Unzeiten, fielen mit der Verzweiflung der Übermüdeten, der Unterzuckerten übereinander her, schliefen ein, wachten auf, machten weiter. Wie lange war das her? Nicht sehr lange. Was war passiert?
    Marie war der letzte Gast an der Bar. Sie legte ein großzügiges Trinkgeld auf den Tresen und fuhr nach Hause. Sie machte einen Umweg. Aber irgendwann ließ es sich nicht mehr aufschieben. Sie öffnete die Tür. Es roch muffig. Der Fernseher lief. Das Sofa – sie hatten unterdessen eines gekauft, ein rotes, kein graues – war zum Doppelbett ausgezogen, zwei dunkelgelockte Köpfe drückten sich in die Kissen. Gion sah sich ein Formel-eins-Rennen an. Ohne Ton. Als er Marie hereinkommen hörte, schaltete er den Fernseher aus und stand auf.
    «Wo warst du?»
    «Im Yogakurs, wie jeden Montagabend.»
    «Bis jetzt? Es ist gleich Mitternacht. Gib es zu: Du hast vergessen, dass die Kleine heute hier ist!»Die Kleine war dreizehn Jahre alt. «Das machst du doch mit voller Absicht. Du weigerst dich, Zeit mit ihr zu verbringen, und wunderst dich dann, dass sie dich nicht mag.»
    Stefanie mochte sie nicht? Das hatte Marie nicht gewusst. «Es tut mir leid», sagte sie, «ich hatte einen Notfall.»
    «Im Yoga?»
    «Ja, im Yoga!»
    «Mann! Ich will schlafen!» Stefanie hob ihren Kopf aus dem Kissen. Ohne das glitzernde Augen-Make-up, das sie tagsüber trug, wirkte sie sehr jung. Fast wie ein Kind.
    «Hey, Stefanie. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich musste unsere Yogalehrerin ins Krankenhaus bringen. Ein Notfall.»
    «Ich dachte, Yoga sei gesund?»
    «Dad! Du hast keine Ahnung. Yoga macht man, um einen knackigen Po zu bekommen!» Stefanie kicherte.
    Marie schaute an sich hinunter. Die rote Hose, die sie den ganzen Abend schön gefunden hatte, schien plötzlich lächerlich. Fast schon obszön.
    «Ich geh schlafen», sagte sie. «Ich habe morgen früh Dienst.» Sie ging aus dem Zimmer. Gion stand auf und folgte ihr. «Du bist nie für mich da!», rief er.

 
    vy ā dhisty ā nasa ṃś hayapram ā d ā lasy ā virati-
    bhr ā ntidar ś an ā labdhabh ū mikatv ā navasthitatv ā ni
    cittavik ṣ ep āḥ te’ntar ā y āḥ
    Auf dem Weg zu geistiger Klarheit stolpert man gern über
    folgende Hindernisse: Krankheit, Trägheit,
    Unentschiedenheit, Hetzerei, Erschöpfung, Ablenkung,
    Selbstüberschätzung, Mutlosigkeit
    und Unbeständigkeit
    Patanjali Yoga Sutra 1 . 30

     
Poppy
     
    «Unsere neue Praktikantin», sagte Andreas, der Leiter des Ressorts Leserbeziehungen. «Sie wird dir diese Woche über die Schulter
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