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Mondglanz

Mondglanz

Titel: Mondglanz
Autoren: Ann Aguirre
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sich um. »Das ist ein Deraphid, aber viel größer als alle, die ich bisher gesehen habe. Die Spannweite dieses Exemplars ist beeindruckend.« Er streckt eine Klaue aus, und das Insekt setzt sich darauf. »Bemerkenswert.«
    Nachdem ich meine Angst in den Griff bekommen habe, kann auch ich die Anmut der wunderschönen, grün-golden schimmernden Flügel würdigen. Das Insekt hat keine Krallen, keine Stacheln und auch sonst nichts, mit dem es mir gefährlich werden könnte. Der schlanke, glatte Körper sieht sogar richtig elegant aus.
    »Wie kann es hier unten überleben?«
    »Wahrscheinlich ernährt es sich von den Parasiten anderer Geschöpfe, von Moosen und Schimmelpilzen.«
    Oh, wie lecker. Warum es wohl ausgerechnet um mich herumgeflattert ist?
    Vel wackelt kurz mit der Klaue, und der Deraphid fliegt davon. Also will nicht alles, das hier unten lebt, uns gleich an den Kragen. Beruhigend.
    Diese Beruhigung hält allerdings nur so lange an, bis ich das nächste Knurren vor uns höre, diesmal begleitet von Bewegungen. Ich versuche, mich ganz auf Marsch und Vel zu konzentrieren, aber es nützt nichts, mein Puls rast. Ich kann den Dämonen der Erinnerung nicht entrinnen, nicht in diesen engen Tunneln. Die Bilder vom Absturz der Sargasso steigen wieder in mir auf. Der einzige Unterschied ist, dass ich hier nicht von verkohltem Fleisch und Metall umgeben bin, sondern von schwarzem, drückendem Fels.
    Auf den obsidianfarbenen Wänden funkelt unabgebautes Erz. Vel geht unerschütterlich weiter, und ich kann nur hoffen, dass die Quelle der Laute nicht so nah ist, wie ich glaube. Vielleicht liegt es ja nur an der Dunkelheit und dem Hall …
    Leider ist der Verursacher des Knurrens so nah, wie ich dachte.
    Ein weißes Etwas, das aus nichts als Fell und geifernden Fangzähnen zu bestehen scheint, springt vor mir aus einem Seitentunnel. Es ist mindestens doppelt so groß wie ich und wahrscheinlich fünfmal so schwer. Sein ohrenbetäubender Schrei hallt von den Wänden wider, und ich stehe da wie gelähmt. Wie die Schlange vor dem Kaninchen schaue ich zitternd hinauf zu dem gigantischen augenlosen Kopf. Das Maul sieht so groß aus, als könnte mich die Kreatur mit einem Biss verschlingen.
    Maria sei Dank haben Marsch und Velith sich besser im Griff als ich. Der Kopfgeldjäger stürzt sich auf die Kniekehlen des Viehs – vorausgesetzt, es hat welche –, und Marsch springt an seine Hüfte. Gleichzeitig stechen und schlagen sie zu, als das Monster schon auf mich zuspringt.
    Ich werfe mich zu Boden, und das Monster schreit auf vor Schmerz.
    Scheiße, es wird doch nicht auf mich drauffallen?
    Ich will mich zur Seite rollen, da bricht das Ding zusammen und klemmt mich unter sich ein. Es ist nicht tot, nur verletzt. Und rasend vor Wut. Es schnappt nach mir, und die Zähne streifen meine Schulter. Schmerz zuckt durch meinen Arm, und Blut quillt aus der Wunde.
    Die Aussicht, von dieser grässlichen Kreatur in ihren Todeszuckungen entweder zerquetscht oder zerfetzt zu werden, bringt mich beinahe um den Verstand. Ich muss mit aller Macht dagegen ankämpfen, nicht zu schreien. Noch bevor Marsch und Velith ihm den Garaus machen und mich unter dem Vieh hervorziehen können, entscheide ich mich für die einfachere Lösung und werde ohnmächtig.
    Als ich später wieder zu mir komme – wie viel später, kann ich nicht sagen –, trägt mich Marsch auf seinen Armen und drückt mich zärtlich gegen seine Brust. Ich bin über und über besudelt mit dem stinkenden Blut der Bestie, was aber vielleicht gar nicht so schlecht ist, denn seine Artgenossen lassen uns in Ruhe. Ich glaube sie sogar in der Entfernung wimmern zu hören.
    »Faszinierend«, kommentiert Velith. »Sie akzeptieren uns als überlegene Räuber und beklagen den Tod eines der ihren.«
    »Das setzt eine gewisse Intelligenz voraus«, meint Marsch stirnrunzelnd.
    Es mag ignorant erscheinen, aber ob diese Dinger intelligent sind oder nicht, interessiert mich nicht im Geringsten. Ich will nur hier raus, bevor ich endgültig in Panik ausbreche.
    »Geht schon wieder«, stammle ich. »Du kannst mich jetzt runterlassen.«
    »Ich weiß. Aber ich will nicht. Ich halte dich gern so«, erwidert Marsch lächelnd, dann senkt er die Stimme. »Ich dachte, ich hätte nie wieder Gelegenheit dazu.«
    Ich würde jetzt gern widersprechen, aber wozu? Stattdessen kuschle ich mich an ihn und beschließe, später ein ernstes Gespräch mit ihm zu führen über die Meinung, die er offensichtlich von mir
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