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Mondglanz

Mondglanz

Titel: Mondglanz
Autoren: Ann Aguirre
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hat.
    Wir marschieren eine halbe Ewigkeit durch die Dunkelheit, und ich verliere jedes Zeitgefühl. Endlich gelangen wir beim ersten Schacht an, der nach oben führt.
    »Hier ist es«, sagt Vel und legt den Kopf in den Nacken.
    Nicht der kleinste Lichtschimmer dringt von oben herab, kein Anzeichen, dass der Schacht tatsächlich bis zur Oberfläche führt.
    Marsch stellt mich auf die Füße. »Jemand muss den Schacht erkunden, sicherstellen, dass wir nicht unterwegs irgendwo stecken bleiben.«
    »Er sieht in der Tat sehr eng aus«, stimmt Velith zu.
    Ich lege allen Mut, den ich nicht habe, in meine Stimme. »Das ist meine Aufgabe. Ich bin die Schmalste von uns.«
    Das hier ist auch nichts anderes als ein Kamin beim Felsklettern, versuche ich mir einzureden. Außer vielleicht, dass dieser Schacht scheißeng und stockfinster ist und ich keine Ahnung habe, was mich dort drinnen erwartet. »Wenn du ein Seil dabei hast, Velith, nehme ich es mit hinauf und mach es fest, wenn ich eine geeignete Stelle finde. Dann könnt ihr euch daran nach oben ziehen.«
    Die beiden werden es mit Klettern kaum schaffen. Sie sind einfach zu breit und passen gerade mal mit den Schultern durch die Öffnung in der Felsdecke.
    »Ich will nicht, dass du das tust«, protestiert Marsch. »Wir gehen einfach weiter.«
    »Vergiss es. Ich will hier raus.« Ohne weitere Einwände abzuwarten, binde ich mir Veliths Seil um die Hüfte. »Wünsch mir Glück.«
    Marsch zieht mich an sich und küsst mich trotz Blut, Dreck und Gestank leidenschaftlich auf den Mund. »Sei vorsichtig. Ich liebe dich, Jax. Wir haben viel Zeit miteinander nachzuholen.«
    Tränen brennen mir in den Augen. »Da hast du verdammt recht. Ich bleib nicht lange weg.«
    Hoffentlich .

52
    Das Klettern ist die reinste Hölle, und ich brauche all meine Kraft, um mich Stück für Stück nach oben zu ziehen. Über und unter mir ist nichts als Dunkelheit. Ich habe einen Leuchtstab dabei, traue mich aber nicht, in hervorzuholen. Das gelbgrüne Leuchten könnte unerwünschte Aufmerksamkeit erregen. Ich bin schon ziemlich hoch. Wenn ich jetzt stürze, würde ich mich ernsthaft verletzen. Besser nicht daran denken.
    Meine Hände sind wund, und die Sohlen meiner Stiefel lösen sich Stück für Stück auf. Ich weiß nicht, wie lange ich schon so klettere, aber ich höre Marschs Stimme nicht mehr. Anfangs hat er mir noch mit beruhigenden Worten Mut zugesprochen, jetzt ist um mich herum nur noch Fels und Finsternis. Ich komme mir vor wie in einer Gruft.
    Zu meiner größten Erleichterung wird die Felsröhre kein bisschen enger, während ich klettere. Sie ist fast rund, und der Durchmesser verändert sich kaum, also ist es wohl tatsächlich ein Bohrschacht. Ich wüsste nur gern, wo er hinführt.
    Weiter, immer weiter, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Das letzte Mal, als ich in einem so dunklen Felstunnel war, bin ich in nackte Panik ausgebrochen, doch Doc hat mich durch gutes Zureden beruhigen können. Diesmal muss ich allein zurechtkommen. Marsch und Velith, die beiden Wesen, die mir am meisten von allen bedeuten, warten dort unten und zählen auf mich. Wenn ich es nicht bis nach oben schaffe, sterben wir hier in der Dunkelheit.
    Die Haut auf meinen Handflächen hängt in Fetzen, und der Flüssigverband auf der Bisswunde an meiner Schulter beginnt sich abzulösen. Nicht mehr lange, und ich fange an mehreren Stellen an zu bluten. Hoffentlich zieht der Geruch nicht das nächste fleischfressende Ungeheuer an.
    Vielleicht schließe ich besser die Augen und konzentriere mich ausschließlich auf meine Bewegungen. Tue so, als wäre es nicht stockfinster hier, als wäre ich nicht schon am Ende meiner Kraft.
    Meine Arme und Beine beginnen zu zittern vor Anstrengung.
    Ich kann es schaffen. Ich muss.
    Verzweiflung treibt mich weiter, aber ich muss jede Minute eine Rast einlegen. Es ist unvorstellbar schwer, wieder zu Atem zu kommen, wenn man sich gleichzeitig an nacktem Fels festkrallen muss, um nicht in den Tod zu stürzen. Verzweiflung reicht nicht mehr, um weiterzuklettern. Ab jetzt ist es nur noch Sturheit. Ich habe mir geschworen, Marsch da rauszuholen, und ich werde jetzt nicht versagen.
    Mein Mund ist staubtrocken, und die Lippen platzen auf. Es fühlt sich an, als würde Felsstaub in jede meiner Poren dringen.
    Endlich spüre ich einen kalten Lufthauch. Heißt das, dass ich’s geschafft hab? Ich verdoppele meine Anstrengungen und ziehe und schiebe mich weiter, bis meine Hände ein Sims erreichen.
    Mit
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