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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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der Schere abgeschnitten worden war.
    7
    Als Platonow das Geräusch des Schlüssels im Schloß der Wohnungstür hörte, erschrak er. Er hatte gewußt, daß dieser Moment kommen würde, weil Kira früher oder später nach Hause kommen mußte. Aber erst jetzt begriff er, daß er in der Tiefe seiner Seele gehofft hatte, daß er um die Konfrontation mit ihr irgendwie herumkommen würde. Dabei hatte er keine Vorstellung davon gehabt, wie das hätte geschehen können. Dadurch, daß Kira von einem Auto überfahren wurde, daß man sie verhaftet hatte, daß ein Raumschiff mit Außerirdischen in Moskau gelandet war? Was hätte geschehen müssen, damit es ihm erspart blieb, mit einer kaltblütigen, wahrscheinlich geistesgestörten Killerin in einer Wohnung allein zu sein? Die letzte Hoffnung war in ihm erstorben.
    Die Wohnungstür ging auf, und Platonow hatte immer noch keine Ahnung, was er tun, wie er sich verhalten sollte, um sein Leben zu retten. Er stand stumm da, angelehnt an den Rahmen der Küchentür, und blickte auf die eintretende Frau. Ihm fiel sofort ihre Blässe auf.
    »Dima«, sagte sie mit unerwartet heiserer Stimme.
    Er bemerkte, daß ihre Lippen zitterten, daß sie Angst hatte. Er schwieg und suchte fieberhaft nach einer Erklärung für ihre Nervosität.
    »Dima«, wiederholte sie und streckte ihre Hände nach ihm aus. Er hörte in ihrer Stimme nicht nur Angst, sondern auch Verlangen.
    Sie fielen einander wortlos und ohne alle Präludien in die Arme. Platonow riß Kira die Jacke herunter und ertastete den Verschluß ihrer Jeans. Nach zwei Minuten, nachdem alle Hindernisse beseitigt waren, bemächtigte er sich ihrer im Flur, stehend, es geschah ohne ein einziges Wort und ohne jeden Laut. Man hörte nur das schwere Atmen der beiden und das Quietschen des Stuhles, auf den Kira sich mit den Händen aufgestützt hatte.
    Zum ersten Mal in seinem Leben schlief Dmitrij nicht mit einer Frau, sondern paarte sich mit ihr, um sein Leben zu retten. Ihm schien, daß es quälend lange dauerte, daß es niemals enden würde, daß er dazu verdammt war, für immer so dazustehen und die unvermeidlichen Körperbewegungen auszuführen, da er, wenn er innehalten würde, sofort sterben müßte. Die Frau würde ihn töten. Und die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, war die nie endende Paarung mit ihr. Die schreckliche Vision dauerte nur einen Augenblick, aber sie war so deutlich, daß Platonow schwarz vor Augen wurde und ihm schien, daß die Kraft ihn verließ. Zum Glück stöhnte Kira in diesem Moment heiser auf, und er begriff, daß er es geschafft, daß er sich nicht verraten hatte.
    Im Flur war es dunkel, Kira war nicht dazu gekommen, das Licht anzuschalten, nachdem sie eingetreten war. Schweigend, ohne einander anzusehen, sammelten sie ihre auf dem Boden verstreuten Kleidungsstücke auf. Platonow ging ins Zimmer, Kira ins Bad. Die Wohnung füllte sich mit einer gespannten, unguten Stille.
    Dmitrij zog sich rasch an, fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar, stellte den Fernseher an und setzte sich in den Sessel neben dem niedrigen Zeitungstischchen. Er hörte das Rauschen des Wassers im Bad, dann ging die Badezimmertür auf, und er bemerkte, daß diesmal das Geräusch des Türriegels ausgeblieben war. Zum ersten Mal hatte Kira, während sie duschte, die Tür nicht von innen abgeschlossen.
    Ich bin ein Idiot, sagte er sich. Ich hätte mit ihr ins Bad gehen müssen, wie es sich für einen anständigen Liebhaber gehört. Es ist ganz offensichtlich, daß sie das erwartet hat. Aber ich habe mich verhalten wie ein Schwein, habe sie benutzt und mich ohne ein Wort vor den Fernseher gesetzt. Doch es war mir unmöglich, sie ins Bad zu begleiten, denn ich bin zwar ein guter Kripobeamter, aber ein schlechter Schauspieler, ich hätte wahrscheinlich meine Augen nicht unter Kontrolle gehabt, sondern ständig auf das Schränkchen gestarrt, in dem der Revolver versteckt ist.
    Kira kam nicht ins Zimmer, sondern begann, in der Küche zu hantieren, um das Essen vorzubereiten. Platonow begriff, daß er etwas unternehmen mußte, um die Situation zu retten. Er atmete tief ein, stieß die Luft entschieden wieder aus, stand auf und ging in die Küche.
    Kira stand am Fenster und blickte irgendwohin in die Ferne.
    »Habe ich dich gekränkt?« fragte Platonow ohne jede Vorrede. »Verzeih mir, Liebste, ich weiß, daß ich grob und unbeherrscht war, das hätte ich nicht tun dürfen . . . Verzeih mir, Kira. Ich habe dir gleich am ersten Tag gesagt, daß du mir
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