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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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wie geht es weiter?«
    »Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Andrjuscha«, winkte Nastja ab. »Ich weiß, wie es weitergeht. Ich bitte dich nur, mir zu helfen.«
    »In Ordnung«, seufzte Tschernyschew. »Immer erniedrigst du mich, Anastasija. Denkst dir irgendwelche intellektuellen Finessen aus und läßt mich mit offenem Mund dastehen, anstatt dich hinzusetzen und einem begriffsstutzigen Kollegen geduldig zu erklären, worum es geht.«
    »Schämst du dich nicht?« lachte Nastja. »Ein so großer Junge mit solchen Komplexen. Ich kann auch so vieles nicht, ich gehe nicht auf Verbrecherjagd und schieße nicht, ich habe nie Karate gelernt, besitze keine Titel und keine Gürtel, während du das alles mit links machst. Soll ich mich deshalb etwa aufhängen? Soll ich dich deswegen hassen? Du kannst das eine, ich das andere, zum Glück. Hör auf, den Beleidigten zu spielen. Laß uns Freunde sein und Zusammenarbeiten!«
    Sie öffneten die Fahrpläne, bewaffneten sich mit Bleistiften und begannen, die Fahrzeiten auszurechnen. Dann zeichnete Nastja irgendeine nur ihr selbst verständliche Tabelle, holte den Stadtplan mit den Metroverbindungen auf den Monitor und deutete feierlich mit dem Finger auf einen nördlichen Stadtbezirk.
    »Sieh her! Von hier aus kommt man in fünf Minuten zu dem Bahnhof, wo die Züge in Richtung Riga abgehen, in acht Minuten zu dem Bahnhof, von dem man in Richtung Saweljowsk fahren kann, und in zehn Minuten zu dem Bahnhof, wo es in Richtung St. Petersburg geht. Und genau auf diesen Strecken wurden die Leichen in der größten Entfernung von Moskau gefunden. Ein Weg von fast zwei Stunden. Und jetzt sieh hierher! In Richtung Kiew ist der Mörder ganze vierundvierzig Minuten gefahren, in Richtung Jaroslawsk und Kasan waren es jeweils achtundfünfzig Minuten. Das heißt, es ist völlig offensichtlich, daß die Strecke vom Wohnort zum Tatort in jedem Fall in etwa in derselben Zeit zurückgelegt wurde. Wenn wir in Kilometern rechnen, kommen wir auf einen westlichen Stadtbezirk, der sich allmählich zum Zentrum hin verschiebt. Aber wenn wir in Minuten rechnen, kommen wir auf den nördlichen Stadtbezirk. Und da auf den Abschnitt, der den Metrostationen am nächsten liegt, von denen aus auch die Züge in Richtung St. Petersburg, Saweljowsk und Riga abgehen.«
    »Ich habe nicht verstanden, warum du glaubst, daß sein Wohnort ausgerechnet in der Nähe dieser Metrostationen liegt. Ich sehe, daß es sich in jedem Fall um etwa dieselbe Entfernung handelt, aber warum denkst du, daß es eine kurze Entfernung ist? Du nimmst an, daß er hier, an dieser Stelle wohnt, aber er könnte genausogut hier wohnen.« Tschernyschew deutete auf Nordosten, in die Gegend des Mir-Prospekts. »Hier liegt der Rigaer Bahnhof, bis zum Leningradskij-Bahnhof ist es auch nicht weit, und über den Sustschewskij-Wall kommt man sehr schnell zum Saweljowskij-Bahnhof. Warum hältst du so eine Variante nicht für möglich?«
    »Weil ich bis fünf zählen kann, mein Lieber. Die Stelle, auf die du gedeutet hast, gehört zu einem ganz anderen Zweig der Metro, und von da aus sind die Entfernungen zum Kiewer Bahnhof und zum Platz der Komsomolzen, wo der Jaroslawsker und der Kasaner Bahnhof sich befinden, sehr unterschiedlich. Aber wenn unsere Hypothese stimmt und es nicht um Kilometer geht, sondern um Zeit, dann muß die Entfernung vom Wohnort des Mörders zu diesen Bahnhöfen jeweils dieselbe sein. Deshalb muß er an der Metrolinie Serpuchowskaja wohnen.«
    Tschernyschew erhob sich von dem niedrigen Sessel, den er an den Schreibtisch herangerückt hatte, streckte seine steifen, knirschenden Glieder, sah Nastja verschmitzt an und schnitt ihr eine Grimasse.
    »Und trotzdem schieße ich besser als du.«
    Nastja wollte einen Witz machen, aber in diesem Moment läutete es an der Wohnungstür.
    »Das ist dein Tschistjakow«, sagte Andrej, »er hat bestimmt Fleisch mitgebracht. Wir werden dir jetzt zeigen, wie man ein Essen zaubert, das du nie im Leben zustande bringen würdest, damit du dir nicht allzuviel einbildetest und dich nicht für die Gescheiteste von allen hältst. Die Männer, die es mit dir zu tun haben, werden zu intellektuellen Krüppeln aus Angst vor deinem Gehirn.«
    Doch Andrej irrte sich. Vor der Tür stand nicht Nastjas zukünftiger Ehemann, sondern Igor Lesnikow. Er hielt Nastja wortlos ein Notenheft hin, das er vor einer halben Stunde bei Lena Russanowa entdeckt hatte. Auf einer der Seiten fehlte am Rand ein Streifen Papier, der mit
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