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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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kaltem Erstaunen. Zittert sie etwa vor Leidenschaft? Was für ein Glück ich habe! Eine verrückte Killerin, die mich begehrt.
    Mechanisch tat er alles, was zu tun war, er schob seine Hände unter die Decke und streichelte ihre glatte, seidige Haut, berührte mit den Lippen ihr Gesicht, er flüsterte zärtliche Worte und versuchte, an ihrer Reaktion abzulesen, was sie wollte. Ob es ihr nur darum ging, sich von seiner Willigkeit zu überzeugen, oder ob sie alles von ihm erwartete, das ganze Programm. Plötzlich öffnete sie die Augen, und Platonow erblickte darin unverhohlenes Entsetzen, das an Panik grenzte.
    »Was ist mit dir, Liebling?« fragte er leise, während er ihren Hals küßte. »Mache ich etwas falsch?«
    »Dima, ich will nicht sterben«, flüsterte sie. »Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht. Ich habe Angst. Wenn er uns aufgespürt hat, wird er uns vielleicht umbringen.«
    Gott sei Dank, sie ist nicht verrückt, dachte Platonow erleichtert. Der normale Selbsterhaltungsinstinkt zwingt sie, sich als lebendiges Wesen gegen den Tod zu behaupten. Was kann man dem Tod entgegensetzen? Nur den Fortpflanzungstrieb. Deshalb verstärkt sich im Angesicht des Todes das sexuelle Verlangen. Aber irgendwie ist ihre Angst zu mächtig. Es sieht so aus, als wüßte sie mehr als ich. Als würde sie mir etwas verschweigen. Was könnte es sein, das ich nicht weiß und das sie vor Angst zittern läßt?
    Er tröstete Kira mit sanften Worten und versicherte ihr, daß nichts Böses geschehen würde, daß es keinen Grund zur Beunruhigung gab, geschickt und beharrlich liebkoste er sie, bis sie die Augen wieder schloß, den Kopf zurückwarf und stoßweise zu atmen begann.
    Als es zu Ende war, küßte Dmitrij Kiras Wange und ging in die Küche. Die Stille, die ihn aus dem Zimmer nebenan erreichte, besagte, daß Kira offenbar sofort tief eingeschlafen war, und er beneidete sie ein wenig um ihre Nerven. Er selbst wälzte sich noch lange herum, versuchte zu verstehen, was Kira in diese Panik versetzt hatte, und zugleich zu einem Entschluß zu kommen, wie er sich weiterhin verhalten sollte. Die wichtigste Frage war Kira selbst. Was sollte er mit ihr machen? Ja, sie war eine Mörderin, eine Verbrecherin, sie hatte sechs Menschenleben auf dem Gewissen, und zweifellos mußte sie bestraft werden. Aber sie war auch die Frau, die ihm Zuflucht gewährt hatte, als er nicht wußte, wohin er gehen sollte, als er ein Versteck und ein Nachtlager gebraucht hatte. Sie hatte ihm vertraut und ihm geholfen, ihm ihre eigenen Interessen und Bequemlichkeiten geopfert. Und außerdem war diese Frau in diesem Augenblick ganz offensichtlich verängstigt und bedurfte selbst der Hilfe und des Schutzes.
    Was also willst du sein, Platonow, fragte er sich selbst. Ein Bulle oder ein Mann?
    Mit dieser Frage im Kopf schlief er endlich ein, mit derselben Frage erwachte er und beschloß, noch ein Weilchen still liegenzubleiben, um Kira nicht aufzuwecken und für sich allein nachdenken zu können.
    Als Kira schließlich aufgestanden war, hatte Platonow eine Entscheidung getroffen. Du bist weder ein Bulle noch ein Mann, dachte er finster, du bist einfach ein Schweinehund, Platonow.
    2
    Kira fuhr erneut ins Stadtzentrum, um Platonows Anweisungen auszuführen. Ihr erster Anruf galt Kasanzew.
    »Dima ist immer noch mit Katja aus Omsk beschäftigt«, sagte sie auftragsgemäß. »Er muß wissen, wohin er heute fahren muß.«
    »In fünf Minuten kann ich es Ihnen sagen«, versprach Kasanzew. »Bitte rufen Sie mich noch einmal an.«
    Nach fünf Minuten wußte Kira bereits, daß das Codewort, das man brauchte, um im Zentralen Adressenbüro eine Auskunft zu bekommen, heute »Woronesh« lautete. Ohne dieses Codewort, hatte Dima ihr erklärt, gab das Adressenbüro an niemanden Auskünfte, außerdem war es möglich, daß man nach dem Namen und nach der Arbeitsstelle gefragt wurde.
    »Im Zentralbezirk arbeitet eine Lamara Uschangowna Bizadse, melde dich unter diesem Namen. Kannst du mit georgischem Akzent sprechen?«
    Kira sagte lächelnd ein paar Worte, mit denen sie die Aussprache einer bekannten georgischen Sängerin imitierte, die russische Romanzen sang.
    »Ausgezeichnet«, lobte sie Dmitrij. »Du rufst also zuerst Kasanzew an, fragst ihn nach dem Codewort, dann rufst du das Adressenbüro an, sagst, daß du Lamara Uschangowna Bizadse aus dem Zentralbezirk bist, und fragst nach deiner eigenen Adresse. Du nennst deinen Vornamen, deinen Vatersnamen, deinen Familiennamen und
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