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Promenadendeck

Promenadendeck

Titel: Promenadendeck
Autoren: Heinz G. Konsalik
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1.
    Der Blinde war der erste, der aus dem Bus stieg. Zunächst sah man nur seinen weißlackierten Stock, die automatische Tür öffnete sich langsam und schmatzend, dann tastete der Stock durch die Öffnung, darauf erschien ein länglicher Kopf mit kurzen braunen Haaren und großen, dunkel getönten Brillengläsern, der sich wie lauschend nach links und rechts drehte und dann nochmals im Innern des Busses verschwand, ehe der Mann dann den Wagen endgültig verließ.
    Die anderen Reisenden in dem vor Sauberkeit blitzenden, vollklimatisierten Bus warteten geduldig, bis der Blinde, geführt von einem jungen Mädchen, ausgestiegen war, vorsichtig mit dem weißen Stock das Unbekannte vor sich abtastend. Auf dem langen Flug von Frankfurt nach San Francisco – mit Zwischenlandung in Miami – hatte man sich an ihn gewöhnt und genug über ihn gesprochen. Auch wenn er 1. Klasse flog, sicherlich, um niemanden zu belästigen, war er inzwischen doch einer von ihnen. Und er würde wochenlang mit ihnen zusammenbleiben – auf einem Schiff von zweihundert Metern Länge und achtundzwanzig Metern Breite, mit elf Decks und rund sechshundert Passagieren. Ein schwimmendes Luxushotel auf dem Weg kreuz und quer durch den Pazifik.
    »Man fragt sich wirklich«, hatte während des Fluges ein Passagier seiner Frau zugeflüstert, »was so ein Mann von dieser Reise hat. Gibt ein Vermögen aus – und sieht nichts.«
    »Seine Begleiterin, wohl eine Krankenschwester, wird ihm alles erzählen.«
    Die Frau hatte gegähnt. Man war schon sechs Stunden in der Luft, hatte Champagner getrunken, Prager Schinken mit Rosenkohl verspeist, zum Dessert eine vorzügliche Weincreme genossen, anschließend einen Mokka mit Cognac oder Likör, und kam jetzt in die Phase der Müdigkeit nach dem Essen. »Außerdem«, meinte die Frau, »geht's uns nichts an.«
    »Er wird zwar alles hören und riechen können – aber dafür Zigtausende ausgeben?«
    »Mach die Augen zu, Ernst, und schlaf ein bißchen.«
    »Ja, und die Sonne hat er, die Wärme, die frische Seeluft … trotzdem, mein Fall wär's nicht. Was mag so einer von Beruf sein?«
    »Geh hin und frag ihn!« Die Frau hatte die Lehne des Sitzes weit zurückgeklappt und richtete sich zu einem Schläfchen ein. »Auf jeden Fall hat er Geld genug.«
    Auch andere Passagiere sprachen nach dem Abflug in Frankfurt über den Blinden vorn im Jumbo, bis sie sich daran gewöhnt hatten, daß er unter ihnen war. Jetzt, in San Francisco, gab man sich höflich und wartete, bis er aus dem Bus gestiegen war. Dann aber, in der großen, hohen Halle von Pier 7, hörte die Höflichkeit auf. Die neuen Gäste von MS Atlantis hasteten, als gelte es, eine Burg zu erstürmen, mit ihrem Handgepäck, mit Fototaschen und Beuteln an dem Blinden vorbei, um über die Gangway das weiße, stolzgeflaggte Schiff zu besetzen.
    Eine kleine Kompanie Stewards erwartete sie im Foyer des Pazifikdecks. Der Oberzahlmeister – hier Hoteldirektor genannt – sah bekannte Gesichter, grüßte nach hier und da; drei Offiziere in ihren weißen Uniformen bildeten ein eindrucksvolles Empfangskomitee; der Obersteward schüttelte Hände, bis die Menschenwoge auch ihn überschwemmte.
    Die Gäste verteilten sich schnell nach allen Seiten, nach oben und unten im Schiff. Diejenigen, die MS Atlantis schon kannten, die Repeater, die treuen Mehrfachfahrer, eilten zu ihren Plätzen. Die neuen hingegen zeigten ihre Tickets und wurden jeweils von einem Steward zu den Kabinen geleitet, die für drei, vier oder fünf Wochen ihr Zuhause sein würden.
    Vor der Halle von Pier 7 fuhr der zweite Bus vor. Hier in San Francisco gingen heute dreihundertvierzig neue Passagiere an Bord, erfüllt von der Erwartung, die unendliche Weite der Südsee kennenzulernen. Die MS Atlantis würde eine Route fahren, wie sie bisher noch kein anderes Kreuzfahrtschiff genommen hatte, mit Inseln, deren Namen man zum erstenmal hörte, wenn man nicht gerade ein Geograph war. Dreihundertvierzig Menschen aus Europa; dazu kamen Amerikaner, die gesondert anreisten. Die in der Borddruckerei hergestellte Passagierliste enthielt viele bekannte Namen, und Kapitän Teyendorf hatte bei der Lektüre ein paarmal aufgeseufzt.
    »Mein Gott, die ist auch wieder an Bord?« hatte er gerufen und auf einen Namen gezeigt. »Konnte man das nicht verhindern, Herr Riemke?«
    Gerhard Riemke, der ›Hoteldirektor‹, hatte mit den Schultern gezuckt. »Sie zahlt, also kann man sie nicht hindern, Herr Kapitän. Welchen Grund, ihr die
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