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Mit einem Fuß im Himmel

Mit einem Fuß im Himmel

Titel: Mit einem Fuß im Himmel
Autoren: Marie Louise Fischer
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gehen, ihre Wohnung mit zwei Zimmern, Küche und Bad lag in einer stillen Seitenstraße der Luegallee, nicht weit von der Blumenhandlung entfernt.
    Jedesmal, wenn Liselotte den Wohnungsschlüssel ins Schloß der Tür steckte, überkam sie ein Glücksgefühl, zu Hause und geborgen in einem schönen gemütlichen Heim zu sein. Aber heute abend wartete sie vergebens auf dieses wohlige Empfinden, sie fühlte sich geradezu als Fremde in einer fremden Wohnung. Was war nur los mit ihr? Nachdenklich blieb sie mitten im Wohnzimmer stehen, und plötzlich überfiel sie die Erkenntnis, daß jenes Glücksgefühl nie echt und natürlich gewesen war, sondern ein Selbstbetrug, der ihr allein ermöglicht hatte, ihr sinnloses Leben zu ertragen. Sinnlos war es, dieses Leben, das fühlte sie plötzlich.
    Natürlich hätte sie jetzt in die blitzblanke freundliche Küche gehen, sich ihre Suppe warm machen, den Pudding aus dem Eisschrank holen und sich an den hübsch gedeckten Tisch setzen können, natürlich hätte sie die Stehlampe im Wohnzimmer anzünden, sich in einen Sessel fallen lassen und es sich mit einem Buch gemütlich machen können, sie hätte ein Bad einlaufen lassen können, und es wären nur noch wenige Schritte bis in ihr weiches, weißbezogenes Bett gewesen — aber wozu das alles?
    Bestimmt gab es eine Menge Menschen, die sie um ihr hübsches komfortables Heim beneidet hätten, aber in Wahrheit sah es ja so aus, daß nicht sie die Wohnung, sondern die Wohnung sie, Liselotte, besaß. Jeden Morgen mußte sie drei Stunden vor Arbeitsanfang aufstehen, um ihre Wohnung auf Hochglanz polieren zu können, ihre Wäsche in Ordnung zu bringen und das Essen vorzubereiten. Für diese Wohnung stand sie von morgens acht bis abends um sieben in der Blumenhandlung von Oskar Hähnlein und bediente nette und unfreundliche, reiche und arme Kunden. Natürlich mußte man, um genau zu sein, die Mittagspause abrechnen, aber tatsächlich erschien sie ja auch jeden Morgen bereits eine halbe Stunde vor Öffnen des Ladens und hatte jeden Abend noch eine halbe Stunde länger mit Aufräumen zu tun — und das alles, nur um sich selber am Leben und die Wohnung in guter Ordnung zu halten. Eine Wohnung aber, und mochte sie noch so schön und gepflegt sein, war und blieb immer tot, eine Anhäufung von toten Dingen, konnte nie und nimmer zu einem lebendigen Wert werden.
    Dies alles und noch manches andere ging Liselotte durch den Kopf, während sie nachdenklich mitten im Wohnzimmer stand und auf ihre bisher so geliebten Möbel starrte. Dann zog sie entschlossen ihren Mantel aus, warf ihn, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit und wie zum Protest, quer über irgendeinen Stuhl, trat zum Schrank, nahm eine Flasche Schnaps heraus — der nur für gelegentliche Besuche dort bereitstand —, nahm ein Glas, füllte es und trank es in einem Zug leer. 5ie goß sich ein zweites Glas ein, stellte es auf den kleinen Rauchtisch, ließ sich in einen Sessel fallen und zündete sich eine Zigarette an.
    »Ich bin auf dem falschen Dampfer«, sagte sie laut zu sich selber, und in ihrem vom Alkohol bereits beeinflußten Gemütszustand gefiel ihr diese Formulierung ausgezeichnet. »Ich bin auf dem völlig falschen Dampfer!« wiederholte sie.
    Sie war jetzt runde dreißig Jahre alt — kein Alter natürlich für eine Frau unserer Tage, aber immerhin ein Alter, in dem man schon ein gewisses Ziel erreicht oder doch auf dem Wege dahin sein sollte. Sie sah gut aus, das wußte sie, sie war eine sympathische Persönlichkeit, auch daran zweifelte sie nicht, und dumm war sie auch nicht — aber dennoch! Von welcher Seite man es auch betrachtete, ihr Leben war völlig verfehlt.
    Wenn sie noch in dieser Nacht sterben sollte, wer auf der ganzen Welt würde um sie weinen? Nun ja, ihre verheiratete Schwester würde sicher ein Tränchen um sie vergießen. Auch ihre Nichten und Neffen, ihre Freundinnen und Bekannten würden ein bißchen traurig sein, vielleicht würde auch Hein Grotius eine Krokodilsträne aus dem Auge pressen, Evi würde mit banger Erwartung ihrer neuen Vorgesetzten entgegensehen — aber das war auch alles! Ihr Hauswirt würde sich nach einer neuen Mieterin oder einem Mieter umsehen müssen — nichts war heutzutage leichter zu finden als das. Herr Hähnlein würde sich gezwungen sehen, eine andere Filialleiterin einzustellen, und Liselotte wußte nur zu gut, daß es genügend Mädchen gab, die mit beiden Händen nach diesem Posten greifen würden. Eine Lücke, ein wirklicher
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