Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit einem Fuß im Himmel

Mit einem Fuß im Himmel

Titel: Mit einem Fuß im Himmel
Autoren: Marie Louise Fischer
Vom Netzwerk:
Sängerin geworden bin, und du ein Mann.«
    »Du willst behaupten, ich sei kein Mann?«
    »Genau das, Hein! Vorläufig bist du noch ein oberflächlicher, unzuverlässiger Knabe, den keine Frau von einigem Format ernst nehmen kann.«
    »Da hört sich doch wirklich alles auf!«
    Ernstlich empört und gekränkt blieb Hein Grotius stehen und ließ Gaby allein weitergehen, er wandte sich aber auch noch nicht um, sondern wartete ab, ob sie sich nicht doch noch einmal nach ihm umsehen würde. Aber Gaby dachte nicht daran, sie ging beschwingt und erhobenen Hauptes von dannen. Und Hein Grotius hatte im wahrsten Sinne des Wortes das Nachsehen.
    Sehr nachdenklich und sehr betroffen wandte er sich endlich um und ging zu seinem Wagen zurück. So sehr er sich auch innerlich dagegen wehrte, spürte er doch, daß Gabriele ihm eine Lektion verpaßt hatte, die er nicht so leicht würde vergessen können, ebensowenig wie Gabriele selbst. Niemals hätte er es für möglich gehalten, — daß ihm so etwas passieren könne, und doch, es war geschehen, und, wenn er ganz ehrlich sein wollte, er hatte es verdient, weiß Gott, er hatte es verdient. Er würde eine Lehre daraus ziehen, dazu war er fest entschlossen.
    Auf dem Bahnhofsvorplatz rief ein Zeitungsverkäufer mit bemerkenswert kräftigem Organ den Ausblick aus, Gabriele konnte ihn wirklich weder überhören noch übersehen. Sie ging vorbei, aber dann zögerte sie wieder, trat zurück, zückte einen Groschen und kaufte ein Exemplar. Einen Augenblick, nur einen kurzen Augenblick, stand sie nachdenklich mit der Zeitung in der Hand da, dann überwand sie die Versuchung, nahm das Blatt, riß es mit beiden Händen in Stücke und warf es in den nächsten Papierkorb. So — das hatte gutgetan! Nie wieder würde sie in ein Horoskop blicken, das war alles doch nur Schwindel! Was wußten denn die Leute, die diese Prophezeiungen schrieben, von ihr, ihrem Leben, ihren Wünschen, ihren Fähigkeiten? Nichts, aber auch rein gar nichts! Wie konnten sie dann aber wissen, was sie tun oder lassen sollte? Sie war töricht genug gewesen, daß sie je an diesen Quatsch geglaubt hatte. Aber jetzt hatte sie ihr Lehrgeld bezahlt, und nicht zu knapp.
    Trotz aller Verwirrungen, Fehlschläge und Enttäuschungen, die sie in den letzten Tagen erfahren hatte, war Gabriele nicht unglücklich. Ganz im Gegenteil, sie wußte, daß jetzt die Entscheidung gefallen war. Sie sah ihr Ziel und den Weg dahin ganz klar vor sich. Sie war froh, daß sie sich nicht an Till Torsten gebunden hatte, es wäre im Grunde genommen doch nur eine Notlösung gewesen. Sie war viel zu jung zum Heiraten, viel zu jung für Männergeschichten überhaupt. Sie wollte etwas werden, eine wirklich gute Sängerin, und sie würde alles tun, um das zu erreichen — arbeiten, sparen, üben und schuften. Morgen früh würde sie erst einmal zu Herrn Mensendick gehen und sich entschuldigen, so schwer ihr das auch fiel. Vielleicht würde sie die Stellung doch wieder bekommen, oder wenigstens ein einigermaßen anständiges Zeugnis, damit sie sich anderswo bewerben konnte. Auch Fräulein Leisegang mußte sie natürlich versöhnen, obwohl es vielleicht doch besser war, sich ein anderes, billigeres Zimmer zu nehmen, um leichter die Gesangsstunden bezahlen zu können. Ja, mit dem Unterricht würde sie gleich morgen beginnen, ganz gleichgültig, was der Tag auch bringen mochte. Sie freute sich darauf, und wenn es noch so schwierig werden würde.
    Und Hein? Ja, wer weiß, vielleicht — wenn er älter geworden war, wenn sie selber ihr Ziel erreicht hatte. Niemand konnte voraussagen, was die Zukunft mit ihnen vorhatte.
    Gott sei Dank, sie war jung und das Leben lag vor ihr, mit all seinem Glanz, seiner Freude und seinen Verheißungen. Nur Mut brauchte man, um es zu meistern, Kraft und Selbstvertrauen. Nie wieder würde sie ängstlich und töricht nach den Sternen schielen, das war gewiß!

Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher