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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
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Aber jetzt muß ich die Katze suchen gehen.«
    »Das kann bestimmt zehn Minuten warten. Es ist nicht wie Spaghettikochen.« Aus irgendeinem Grund brachte ich es nicht fertig, einfach aufzulegen; etwas in ihrer Stimme bannte meine Aufmerksamkeit. »Okay, aber nicht mehr als zehn Minuten.«
    »Jetzt werden wir es schaffen, uns zu verstehen«, sagte sie mit ruhiger Zuversicht. Ich spürte, wie sie es sich in einem Sessel bequem machte und die Beine kreuzte. »Da bin ich aber gespannt«, sagte ich. »Was kann man in zehn Minuten schon groß verstehen?«
    »Zehn Minuten sind vielleicht länger, als Sie glauben«, sagte sie. »Sind Sie sicher, daß Sie mich kennen?«
    »Aber natürlich. Wir sind uns schon Hunderte von Malen begegnet.«
    »Wo? Wann?«
    »Irgendwo, irgendwann«, sagte sie. »Aber wenn ich darauf eingehen wollte, würden zehn Minuten niemals genügen. Was zählt, ist die Zeit, die wir jetzt haben. Die Gegenwart. Meinen Sie nicht auch?«
    »Vielleicht. Aber ich hätte gern irgendeinen Beweis dafür, daß Sie mich wirklich kennen.«
    »Was denn für eine Art von Beweis?«
    »Sagen wir, wie alt ich bin.«
    »Dreißig«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. »Dreißig und zwei Monate. Überzeugt?«
    Das brachte mich zum Schweigen. Offensichtlich kannte sie mich wirklich, aber an ihre Stimme konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern. »Jetzt sind Sie dran«, sagte sie mit verführerischer Stimme. »Versuchen Sie, sich ein Bild von mir zu machen. Anhand meiner Stimme. Stellen Sie sich vor, wie ich bin. Mein Alter. Wo ich bin. Was ich anhabe. Los.«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte ich. »Ach, kommen Sie schon«, sagte sie. »Versuchen Sie’s.«
    Ich sah auf meine Uhr. Es waren erst eine Minute und fünf Sekunden vergangen. »Ich habe keine Ahnung«, wiederholte ich.
    »Dann werde ich Ihnen eine kleine Hilfestellung geben«, sagte sie. »Ich liege auf dem Bett. Ich komme gerade aus der Dusche, und ich habe nichts an.«
    Oh, stark. Telefonsex.
    »Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich etwas anhätte? Etwas mit Spitzen. Oder Strümpfe. Würde das bei Ihnen besser wirken?«
    »Das ist mir scheißegal. Machen Sie, was Sie wollen«, sagte ich. »Ziehen Sie sich was an, bleiben Sie nackt, ganz wie Sie wollen. Tut mir leid, aber ich bin an solchen Telefonspielchen nicht interessiert. Ich hab noch einen Haufen Dinge zu -«
    »Zehn Minuten«, sagte sie. »Zehn Minuten werden Sie schon nicht umbringen. Sie werden’s überleben. Beantworten Sie einfach meine Frage. Wollen Sie mich nackt oder mit was an? Ich habe die verschiedensten Dinge, die ich anziehen könnte. Schwarze Spitzenhöschen …«
    »Nackt ist okay.«
    »Also gut. Sie wollen mich nackt.«
    »Ja. Nackt. Gut.« Vier Minuten.
    »Mein Schamhaar ist noch naß«, sagte sie. »Ich habe mich nicht besonders gut abgetrocknet. Ah, ich bin so naß! Warm und feucht. Und weich. Wunderbar weich und schwarz. Berühren Sie mich.«
    »Also, es tut mir leid, aber -«
    »Und auch da unten. Ganz, ganz unten. Es ist so warm da unten, wie Buttercreme. So warm. Hmmm. Und meine Beine. Was glauben Sie, wie ich die Beine gerade halte? Mein rechtes Knie steht hoch, und mein linkes Bein ist gerade genug abgespreizt. Sagen wir, Fünf-nach-zehn-Stellung.« Ich konnte an ihrer Stimme erkennen, daß sie kein Theater spielte. Sie hatte die Beine wirklich in Fünf-nach-zehn-Stellung gespreizt, und ihr Geschlecht war warm und feucht.
    »Berühren Sie die Schamlippen«, sagte sie. »Laaangsam. Jetzt öffnen Sie sie. Genau so. Langsam, langsam. Liebkosen Sie sie mit den Fingern. Ganz, ganz langsam. Jetzt berühren sie mit Ihrer anderen Hand meine linke Brust. Spielen Sie mit ihr. Streicheln Sie sie. Von unten herauf. Und drücken Sie die Brustwarze ein bißchen zusammen. Jetzt noch einmal. Und noch mal. Und noch mal. Bis ich fast komme.«
    Ohne ein Wort zu sagen, legte ich den Hörer auf. Ich streckte mich auf dem Sofa aus, starrte auf die Uhr und stieß einen langen, tiefen Seufzer aus. Unser Gespräch hatte nicht ganz sechs Minuten gedauert.
    Zehn Minuten später klingelte das Telefon wieder, aber ich nahm nicht ab. Es klingelte fünfzehnmal. Und als es verstummte, senkte sich eine tiefe, kalte Stille über den Raum.
    Kurz vor zwei kletterte ich über die Hohlblockmauer und hinunter in die Gasse - oder das, was wir »die Gasse« nannten. Es war keine Gasse im eigentlichen Sinne des Wortes, aber andererseits gab es wahrscheinlich gar kein Wort für das, was es war. Es war keine
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