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und der verrueckte Maler

und der verrueckte Maler

Titel: und der verrueckte Maler
Autoren: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer
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T ante Mathildas Zorn
    So hatte Justus Jonas seine Tante Mathilda noch nie erlebt. Sie stand mitten im Wohnzimmer und wies anklagend auf die Wand über dem Sofa. Was dort hing, machte sie schrecklich wütend. Es war ein Gemälde, sehr groß, hatte einen vergammelten Rahmen, von dem das falsche Blattgold abblätterte, und zeigte dem Betrachter eine Lichtung mit grasenden Kühen und einem Bach.
    »Welcher Teufel hat dich geritten«, rief Tante Mathilda, »diesen Schinken in mein Wohnzimmer zu hängen?« Titus Jonas saß unglücklich in seinem Sessel und drohte mit jedem neuen Zornesausbruch seiner Frau noch kleiner zu werden. Die Spitzen seines schönen schwarzen Schnurrbarts zitterten. Er hatte die Knie aneinandergepresst, die Hände gefaltet und versuchte hin und wieder vergeblich, ein Wort einzuwerfen. Aber das ließ Tante Mathilda nicht zu.
    Vorsichtig lugte Justus vom Vorzimmer aus um die Ecke. Er hielt es für besser, sich nicht zu zeigen. Onkel und Tante führten seit drei Jahrzehnten eine im Großen und Ganzen harmonische Ehe. Jedenfalls hatte Justus noch nie einen offenen Streit zwischen den beiden erlebt. Und jetzt wollte er ihnen die Erfahrung ersparen, dass ihr Neffe Justus zufällig Zeuge eines solchen Hauskrachs geworden war.
    »Nicht genug damit, dass du es für richtig hältst, immerzu diesen ganzen Krimskrams anzuschleppen!«, rief Tante Mathilda. Sie hatte sich jetzt direkt vor Onkel Titus aufgepflanzt und die Arme in die Hüften gestemmt. »Wertloses, unnützes Zeug, mit dem kein Mensch etwas zu schaffen haben will.«
    Das ist ungerecht, dachte Justus. Onkel Titus war schließlich ein erfolgreicher Geschäftsmann, der seine Ware rund um LosAngeles kaufte und bei dem sich jedermann eindecken konnte mit Lampen und Möbeln und Geschirr und überhaupt allen möglichen nützlichen und unnützen Dingen. Angefangen hatte er als gewöhnlicher Schrotthändler, aber er war längst darüber hinausgewachsen und sie lebten nicht schlecht von dem Geschäft, das er mit Hingabe betrieb. Am Ende des alten Schrottplatzes befand sich ein Schuppen, in dem Onkel Titus die ganz besonderen Schätze aufbewahrte, bis sie ihre Kunden und Liebhaber fanden.
    »Und dass du nun meine Abwesenheit ausnutzt, um mein Wohnzimmer mit einem so abscheulichen –«, Tante Mathilda rang nach dem passenden Wort, um ihren Widerwillen auszudrücken, aber sie fand keins. »Das ist die Höhe!«
    »Ich dachte doch nur –«, begann Onkel Titus.
    Tante Mathilda war nicht neugierig darauf zu erfahren, was sich Onkel Titus gedacht hatte. Ihr war der richtige Ausdruck eingefallen. »Ich gebe dir fünf Minuten, dann ist dieser Schandfleck aus meinem Wohnzimmer verschwunden.«
    Justus hielt den Moment für gekommen, um einzugreifen. Er hatte Onkel Titus viel zu verdanken und konnte ihn jetzt doch nicht im Stich lassen. Auf Zehenspitzen schlich er zur Haustür. Er öffnete sie leise und schlug sie vernehmlich wieder zu. Dann begann er zu pfeifen und schlenderte mit den Händen in den Taschen durch den Vorraum ins Wohnzimmer.
    »Tag, Tante Mathilda!«, rief der Erste Detektiv fröhlich. »Wie geht’s, Onkel Titus?« Justus merkte, wie sein Onkel aufatmete. Tante Mathilda stutzte. Dann lächelte sie etwas verkniffen. »Du kommst im rechten Moment«, sagte sie. »Dein Onkel und ich haben eine kleine Meinungsverschiedenheit über den künstlerischen Wert dieses Gemäldes hier.« Sie zeigte wieder auf das Bild über dem Sofa.
    Justus tat so, als sähe er es zum ersten Mal, und trat näher. Auffallend war, wie konsequent der Maler in den gelben Farbtopf gegriffen hatte. Selbst der Bach und die Rinder waren leicht gelbstichig. Ein sonderbares Kunstwerk, dachte Justus. Eigentlich konnte er Tante Mathilda gut verstehen. Wie Onkel Titus nur wieder an so einen Schinken gekommen sein mochte! Aber zugleich tat er ihm leid. Aus den Augenwinkeln betrachtete er die beiden, die unversöhnlich aneinander vorbeischauten.
    Neben dem Sofa standen die vielen kleinen Bilder, die gestern noch an der Wand gehangen hatten und die Onkel Titus eigenmächtig abgenommen haben musste. Schön waren die auch nicht, ging es Justus durch den Kopf. Aber er sagte nichts, um Tante Mathildas Zorn nicht auf sich zu lenken.
    »Ich hab’s ersteigert«, sagte Onkel Titus in die Stille hinein. »Äußerst preiswert. Für ganze 170 Dollar, bei einer Auktion in Santa Paula.« Nicht viel Geld, dachte Justus, für so viel Bild. »Ich wollte deiner Tante eine Freude machen. Ist doch mal was
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