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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
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Klosettspülungen und der Geruch köchelnder Currygerichte.
    Die älteren Häuser dagegen erweckten kaum einen Eindruck von Bewohntsein. Sie waren durch wohlplazierte Sträucher und Hecken abgeschirmt, zwischen denen ich flüchtige Ausblicke auf gepflegte Gärten erhaschte. In der Ecke eines Gartens stand ein alter, brauner, entnadelter Weihnachtsbaum. Ein anderes Grundstück war zur Enddeponie für alle nur erdenklichen Spielsachen geworden, offenbar die Überbleibsel verschiedener Kindheiten. Es gab Dreiräder und Wurfringe und Plastikschwerter, Gummibälle und Schildkrötenfiguren und kleine Baseballschläger. Ein Garten hatte einen Basketballkorb vorzuweisen und ein anderer einen Keramiktisch, um den schöne Gartenstühle gruppiert waren. Die weißen Stühle waren mit Schmutz überkrustet, als seien sie seit Monaten oder sogar Jahren nicht mehr benutzt worden. Die Tischplatte war mit lavendelfarbenen Magnolienblättern bedeckt, die der Regen niedergeschlagen hatte.
    Durch eine Windfangtür aus Aluminium hatte ich einen guten Einblick in ein Wohnzimmer. Ich sah eine ledergepolsterte Sitzgarnitur, einen großen Fernseher, ein Sideboard (auf dem ein Aquarium mit tropischen Fischen und zwei nicht näher erkennbare Trophäen standen) und eine dekorative Stehlampe. Der Raum sah aus wie die Kulisse eines TV-Films. Ein großer Teil eines weiteren Gartens wurde von einer riesigen Hundehütte beansprucht, aber vom Hund selbst war nichts zu sehen, und die Tür der Hütte stand offen. Das Gitter der Tür war nach außen ausgebeult, als habe sich jemand monatelang dagegengelehnt. Das leerstehende Haus, von dem Kumiko gesprochen hatte, kam direkt nach dem Grundstück mit der riesigen Hundehütte. Ein Blick genügte, um zu erkennen, daß es unbewohnt war- und das schon seit einiger Zeit. Es war ein zweigeschossiges, verhältnismäßig neues Gebäude, aber die Fensterläden sahen stark verwittert aus, und die Gitter an den Fenstern des ersten Stocks waren mit Roststellen übersät. Zum Haus gehörte ein heimeliger kleiner Garten, in dem tatsächlich die Steinplastik eines Vogels stand. Die Plastik ruhte auf einem brusthohen Sockel und war von dichtem Unkraut umgeben. Hohe Goldrautenstengel reichten bis fast an die Füße des Vogels. Das Tier - ich hatte keine Ahnung, was für eine Art Vogel es darstellen sollte - hatte die Flügel ausgebreitet, als wollte es diese ungastliche Stätte so schnell wie möglich hinter sich lassen. Abgesehen von der Statue war der Garten vollkommen schmucklos. An der Hausmauer stand ein Stapel von alternden Plastikgartenstühlen, und daneben trug ein Azaleenbusch seine Blüten zur Schau, deren leuchtend rote Farbe seltsam unwirklich aussah. Ansonsten überall Unkraut.
    Ich lehnte mich gegen den brusthohen Maschendrahtzaun und betrachtete für eine Weile den Garten. Er hätte eigentlich ein wahres Paradies für Katzen sein müssen, aber momentan war von Katzen nichts zu sehen. Auf der Fernsehantenne hockte eine einsame Taube und untermalte die Szene mit ihrem eintönigen Ruf. Der Schatten des steinernen Vogels fiel auf das umgebende Unkraut und zersprang in tausend Scherben.
    Ich holte ein Zitronenbonbon aus der Tasche, wickelte es aus und steckte es mir in den Mund. Ich hatte meine Kündigung zum Anlaß genommen, das Rauchen aufzugeben, dafür hatte ich jetzt immer eine Tüte Zitronenbonbons bei mir. Kumiko sagte, ich sei nach den Dingern süchtig und warnte mich, daß ich bald den Mund voll Karies haben würde, aber ich brauchte nun einmal meine Zitronenbonbons. Während ich dastand und den Garten betrachtete, setzte die Taube auf der Fernsehantenne ihr regelmäßiges Gegurre fort, wie ein Buchhalter, der ein Bündel Rechnungen abstempelt. Ich weiß nicht, wie lange ich so gegen den Zaun gelehnt dastand, aber ich erinnere mich, mein Zitronenbonbon auf den Boden gespuckt zu haben, als es mir, halb aufgelöst, den Mund mit seiner klebrigen Süße füllte. Ich hatte gerade den Blick auf den Schatten des Steinvogels gerichtet, als ich spürte, daß mich jemand von hinten anrief.
    Ich drehte mich um und sah im Garten auf der anderen Seite der Gasse ein Mädchen stehen. Sie war klein und hatte das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille mit bernsteinfarbener Fassung und ein hellblaues ärmelloses T-Shirt. Die Regenzeit war gerade erst vorbei, aber es war ihr gelungen, ihren schlanken Armen einen hübschen gleichmäßigen Goldton zu verschaffen. Sie hatte eine Hand in die
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