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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
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gewesen wäre, bei dessen Betrachtung man sich seelisch erquickt fühlt. Die Sonne kam täglich nur auf einen ganz kurzen Sprung vorbei, deswegen war die Erde immer schwarz und feucht, und das einzige, was wir an Gartenpflanzen besaßen, waren ein paar triste Hortensien, die in einer Ecke vor sich kümmerten - und ich mag keine Hortensien. Nicht weit vom Haus stand eine Baumgruppe, und aus ihr konnte man den mechanischen Ruf eines Vogels hören, der so klang, als zöge er eine Feder auf. Wir nannten ihn den Aufziehvogel. Kumiko hatte ihn so getauft. Wir wußten nicht, wie er wirklich hieß oder wie er aussah, aber das störte den Aufziehvogel nicht. Jeden Tag kam er zur nahen Baumgruppe und zog die Feder unserer ruhigen kleinen Welt auf. Jetzt mußte ich mich also auf Katerjagd begeben. Ich hatte Katzen immer schon gemocht, und ich mochte diesen bestimmten Kater. Aber Katzen haben ihre eigenen Vorstellungen vom Leben. Sie sind nicht dumm. Wenn eine Katze aufhörte, bei jemandem zu wohnen, dann bedeutete das einfach, daß sie beschlossen hatte, woanders hinzugehen. Sobald sie müde und hungrig war, würde sie schon zurückkommen. Trotzdem aber würde ich mich Kumiko zuliebe auf die Suche nach unserem Kater machen müssen. Ich hatte sowieso nichts Besseres zu tun.
     
    Meinen Job hatte ich Anfang April aufgegeben - den Juristenjob, den ich seit Ende meines Studiums gehabt hatte. Nicht, daß ich aus einem bestimmten Grund gekündigt hätte. Ich hatte nichts gegen die Arbeit. Sie war nicht gerade fesselnd, aber das Gehalt war in Ordnung und das Betriebsklima angenehm. Um’s ganz offen zu sagen, war meine Funktion in der Firma die eines graduierten Laufburschen gewesen. Und ich war gut darin. Ich kann wohl sagen, daß ich eine echte Begabung für die Verrichtung von derlei praktischen Aufgaben habe. Ich merke mir Dinge schnell, bin effizient, beklage mich nie und bin ein Realist. Was auch der Grund dafür ist, daß der Seniorpartner (der Vater in dieser Vater-und-Sohn-Anwaltssozietät), als ich sagte, ich wollte kündigen, so weit ging, mir eine kleine Gehaltsaufbesserung anzubieten.
    Aber ich kündigte trotzdem. Nicht, daß die Kündigung mir ermöglicht hätte, irgendwelche besonderen Träume oder beruflichen Aussichten zu realisieren. Das letzte, wonach mir beispielsweise der Sinn gestanden hätte, wäre gewesen, mich im Haus einzuschließen und mich auf die Anwaltsprüfung vorzubereiten. Ich war sicherer denn je, daß ich kein Rechtsanwalt werden wollte; aber ich wußte auch, daß ich nicht in dieser Kanzlei und auf diesem Posten bleiben wollte. Wenn ich kündigen wollte, war jetzt der Augenblick, es zu tun. Wenn ich noch länger in der Kanzlei bliebe, würde ich dort für den Rest meines Lebens bleiben. Schließlich war ich schon dreißig.
    Ich hatte Kumiko beim Abendessen gesagt, daß ich mit dem Gedanken spielte, meinen Job aufzugeben. »Ich verstehe«, war ihre einzige Reaktion gewesen. Ich wußte nicht, was sie damit meinte, aber eine Zeitlang sagte sie nichts weiter. Ich blieb auch stumm, bis sie hinzufügte: »Wenn du kündigen möchtest, solltest du kündigen. Es ist dein Leben, und du solltest es so leben, wie du es für richtig hältst.« Nachdem sie das gesagt hatte, vertiefte sie sich darin, mit ihren Eßstäbchen Gräten aus dem Fisch zu zupfen und sie an den Rand des Tellers zu legen. Kumiko hatte als Redakteurin einer Zeitschrift für gesunde Ernährung ein sehr ordentliches Gehalt, und gelegentlich übernahm sie von befreundeten Redakteuren anderer Zeitschriften Aufträge für Illustrationen, was einen schönen Zusatzverdienst brachte. (Sie hatte auf dem College Design studiert und ursprünglich gehofft, freischaffende Illustratorin zu werden.) Wenn ich kündigte, würde ich außerdem noch eine Zeitlang Arbeitslosenunterstützung beziehen. Was bedeutete, daß wir, selbst, wenn ich daheim blieb und mich nur um den Haushalt kümmerte, noch genug für Extras wie Essengehen und Wäscherechnung haben würden und sich unser Lebensstil kaum ändern würde. Also hatte ich gekündigt.
     
    Ich war dabei, Lebensmittel in den Kühlschrank zu räumen, als das Telefon klingelte. Das Klingeln schien diesmal einen ungeduldigen Unterton zu haben. Ich hatte gerade eine Packung Tofu aufgerissen und stellte sie behutsam auf den Küchentisch, damit das Wasser nicht überschwappte. Dann ging ich ins Wohnzimmer und nahm ab.
    »Inzwischen müßten Sie Ihre Spaghetti aufgegessen haben«, sagte die Frau. »Sie haben recht.
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