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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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Teil 1
Am Missouri, wo alles begann
    Der Amerikadepp
    Im Jahr, als der Winter nicht enden wollte, ging ich nach Amerika hinunter, ein dunkler Punkt in der weißen Unendlichkeit der nördlichen Great Plains, eine Ameise im Schnee. Manchmal sah ich mich so, wenn der Geist sich löste und aufflog und einen Moment lang über mir flatterte, während die Füße mechanisch weiterstapften. Der einzige Sinneseindruck, der mir versicherte, du bewegst dich, du bist es, der da geht durch die winterliche Prärie, war das Knirschen meiner Schritte im Eis.
    War dort nicht etwas – eine geduckte Bewegung im Augenwinkel? Am Morgen hatte mir der letzte Mann, den ich im letzten Ort vor der Grenze sah, nachgerufen, nicht nur vor den Wölfen solle ich mich in acht nehmen, auch vor den Kojoten. Sie hätten sich mit ihnen vermischt und seien selbst halbe Wölfe geworden. Nein, da schlich nichts. Nicht einen Wolf sah ich, nicht einen Kojoten, nur weiße, weiße Wüste.
    Ich fand das Tier an eine Schneewehe geschmiegt. Als wolle es nur ein wenig ausruhen, so heil sah es aus – ein Stinktier, ein Skunk. Seine letzte Tat war es gewesen, sich auf die Todeswunde zu wälzen, als sei es ihm unangenehm, so gesehen zu werden, so tot. Dir sollte es unangenehm sein, dachte ich, es so zu sehen, so tot, aber es widerstrebte mir nicht. In seinem starken, dunkel glänzenden Haar spielte der Wind, blies kleine Wirbel und Schneisen hinein. Ich war allein mit dem Skunk,mit ihm und der Prärie und der großen blauen Blässe darüber, die man Himmel nennt.
    Die Wintersonne schien, die Straße war ein schwarzes Band, ausgerollt auf die Grenze zu. Von Norden kam ich, von Kanada, von Saskatchewan her, nach Süden wollte ich, nach Dakota und weiter, immer weiter bis Texas und über den Rio Grande. Ich ging schnell, Erlösung war nahe, heute noch würde ich in Amerika sein.
    Ich ging nicht allein. Bei mir waren meine treuen Hunde, die Warnungen. Gehen in Amerika sei ein Ding der Unmöglichkeit, hatten mir Kenner versichert, also alle daheim. Alle kannten Amerika, nur ich kannte es schlecht. Unüberwindbare Autobahnlandschaften, Straßenkreuzungslabyrinthe, gnadenlose Sheriffs! Niemand, wirklich niemand gehe zu Fuß in Amerika, nicht einmal in den Städten. Wagte ich es doch, sei ich von Stund an ein Freak, ein Outlaw, jeder Sheriff werde mich an seinen Wagen stellen, Arme vorgestreckt, Beine gespreizt, wie in den Filmen, und mich ins Gefängnis stecken. Man riet mir dringend zu einem Auto, einem Motorrad, ja sogar zu einem Pferd. Ich weiß nicht, sagte ich, ich gehe lieber. Ich war der Amerikadepp.
    Das Duell
    Ich erreichte die Grenze noch vor der Nacht. Ein verschlafener Truckerübergang war North Portal – das übliche Grenzmobiliar, Sperren, Schleusen, ein Flachbau. Am Mast das Sternenbanner, riesig, als wolle es sich selbst Mut zuwehen an diesem einsamen Posten.
    Ich spähte hinüber. Dort drüben, das war Amerika. Einige Häuser konnte ich ausmachen, das mit dem schlichten Holzgeländer mochte der Saloon sein – regte sich etwas darin, oder war er seit langem geschlossen? Und der barackenartige Langbau, Tür neben Tür, war wohl das Motel. Hinter einer davon würde ich, wenn alles gutging, heute nacht schlafen. Die Häuser lagerten dicht um den Grenzposten, wie ein paar Generationen zuvor die Hütten der Pelz- und Schnapshändler um das schützende Fort.
    Mir blieb keine Zeit, Portal näher zu betrachten. Der erste Grenzer, der mich sah, erwachte sofort aus seiner Routine, stellte mich und gab mir Befehle: «Halt! Hier stehenbleiben   … Nein, so nicht   … Ja, so.» Er war jung. Er wollte alles richtig machen in diesem außergewöhnlichen Fall. Er nahm mir den Paß ab und begann das Verhör. «Woher?   … Wohin?   … Genaue Reiseroute?» Er beeilte sich, einen harschen Ton anzuschlagen, seine älteren Kameraden waren herausgekommen und umringten uns jetzt, neugierig zu sehen, was für ein Vogel ihnen da ins Netz gegangen war.
    Ein Ranghöherer übernahm. Auch er begann mit Befehlen: «Hinein jetzt! Auf den Stuhl da! Taschen leeren, Rucksack leeren. Herüberreichen die Sachen, aber einzeln, Stück für Stück! Nicht aufstehen!» Alles wurde auf die Theke gepackt, die den einen Teil des Raums von dem anderen trennte, der den Grenzern vorbehalten war. Nun das ganze Verhör noch einmal und jetzt richtig. Alles wollten sie wissen, über mich und meine Absichten und über die Reise hierher, von Europa an die amerikanische Nordgrenze, sämtliche Orte
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