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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels
Autoren: Kay Cordes
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PROLOG
    Endlich Fastnacht! Pfeifen schrillten, Schellentrommeln schepperten, Dudelsäcke orgelten. Rothenburg hatte sich in einen brodelnden Hexenkessel verwandelt. Masken und Narren hatten das Kommando in den Straßen und Gassen übernommen, vollführten Luftsprünge, johlten, brüllten und fegten mit ihren Reisigbesen böse Wintergeister von den Hauswänden.
    Alle hatten sie ein und dasselbe Ziel: den Rothenburger Marktplatz, wo die Patrizier auf der Rathaustreppe darauf warteten, den Sieger des Narrensprungs zu ermitteln. Versuchten die einen, mit akrobatischen Sprungtänzen zu überzeugen, setzten andere auf Jonglierkünste, wieder andere traten in wilden Reisigbesen-Gefechten gegeneinander an.
    Hanna war es egal, wer als Sieger ausgerufen wurde. Sie wollte nur für ein paar Stunden die Mühsal ihres Köhlerdaseins vergessen. Dafür hatte sie mit ihrem Bruder Arndt und ihrer kleinen Schwester Marie in aller Herrgottsfrühe die Einsamkeit ihrer Köhlerhütte verlassen. Der Lohn für den weiten Weg war: Heute würden sie das Spektakel vor dem Patriziat das erste Mal von der vordersten Reihe aus erleben können.
    «Schulter», jammerte die kleine Marie. «Huckepack, Arndt.»
    Nun wurde es Marie doch zu viel. Wieder hatte eineschaurige Maske sie angeheult. Arndt hob Marie auf seine Schultern, während Hanna mit ihrer Schürze versuchte, eine Duftwolke aus faulen Eiern fortzuwedeln. Trotz der Kälte war die Luft zum Schneiden dick, und als eine Abordnung Narren mit Klappern und Rätschen vorüberzog, war es so laut, dass Hanna sich die Ohren zuhalten musste.
    Ein Raunen ging durch die gaffende Menge, als sich das Narrengericht schließlich von den Stühlen erhob. Rothenburgs Patrizier waren allesamt in weite schwarze Mäntel gehüllt, trugen weiße Masken mit schwarzen Augenschlitzen, roten Pausbacken und zahnlosen Strichmündern.
    Hannas Herz begann schneller zu schlagen.
    Irgendwas lag plötzlich in der Luft. Sie spürte es.
    Nein, redete sie sich ein. Es ist nur der Anblick dieser glatten, leeren Larven. Sie sehen von allen am unmenschlichsten aus. Sie machen Angst   … viel mehr als all die grinsenden Teufels- oder Hexenmasken.
    «Marie? Geht es?»
    Lächelnd, aber auch besorgt schaute Hanna zu ihrer Schwester hoch.
    Marie nickte.
    «Natürlich. Ich hab dich sicher. Keiner kann dir was!»
    Arndt kitzelte Marie am Oberschenkel und brachte sie zum Lachen. Beruhigt wandte Hanna sich wieder dem Narrengericht zu und schrak auf der Stelle zusammen: Einer der Narrenrichter schaute geradewegs in ihre Richtung. Das Weiß seiner Maske schien das der anderen plötzlich zu überstrahlen. Und als würde ein Regentropfen von einem Lichtstrahl getroffen, blitzte es scharf hinter den toten Augenschlitzen auf.
    Hanna hätte am liebsten geschrien, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ihr Herz raste, und gleichzeitig hatte sie das Gefühl, ihr Kopf würde mit einer Eisschicht überzogenwerden. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solch ein Blick getroffen.
    «Herr Jesus, steh mir bei.»
    Zitternd bekreuzigte sie sich. Doch es war zu spät. Hanna wusste im selben Augenblick, dass ihr Leben von nun an anders verlaufen würde.
    Denn niemand kam ungeschoren davon, wenn ihn der böse Blick traf.

TEIL 1
Neusitz, Sommer 1524
    1
    Der Tag begann mit einem vereinzelten Vogelruf. Er zauberte Hanna ein Lächeln auf die Lippen, doch schon im nächsten Augenblick schreckte sie aus dem Halbschlaf. Da erklang der Ruf ein zweites und drittes Mal.
    «Heiliger Apostel Kilian, steh uns bei.»
    Hanna bekreuzigte sich. Sie hielt den Atem an, ihr Herz schlug schneller. Ein Kuckuck ruft nicht im Oktober. Und wenn doch, hat es etwas zu bedeuten. Ihr Blick glitt durch das Dämmerlicht der Köhlerhütte zu ihrem Vater. Er schlief noch tief, aber nur zu gut erinnerte sie sich, was er ihr und ihrer Schwester Marie erzählt hatte: dass der Kuckuck der Wächter des Waldes sei und immer dann rufe, wenn Unheil drohe.
    Hanna lauschte mit angehaltenem Atem, doch jetzt war es still.
    Vielleicht habe ich mich ja auch getäuscht, sagte sie sich, schlug die verfilzte Decke zurück und erhob sich von ihrem Strohlager.
    Goldenes Morgenlicht drang durch die Türritzen der Köhlerhütte am Rothenburger Wachsenberg, die sie sich mit ihrem ein Jahr jüngeren Bruder Arndt, ihrer kleinen Schwester Marie und ihrem Vater Tilman Völz teilte. Auch Marie schlief noch, Arndt hingegen war längst bei den Kohlenmeilern. Alle vier Stunden musste man nach ihnenschauen, sie behutsam
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