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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
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Tasche ihrer Shorts gesteckt. Die andere ruhte auf dem Querstab eines hüfthohen Bambus-Törchens, das sicher keine allzu stabile Stütze abgab. Wir waren keinen Meter voneinander entfernt. »Heiß«, sagte sie zu mir. »Stimmt, ja«, antwortete ich.
    Nach diesem kurzen Meinungsaustausch stand sie einfach so da und sah mich an. Dann holte sie eine Schachtel Hope ohne Filter aus der Hosentasche, zog eine Zigarette heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen. Sie hatte einen kleinen Mund mit einer leicht aufgeworfenen Oberlippe. Sie riß ein Streichholz an und zündete sich die Zigarette an. Als sie den Kopf zur Seite neigte, schwang ihr Haar zurück und legte ein schön geformtes Ohr bloß, so glatt wie gerade erst gemacht, von einer flaumigen Lichtkontur umgeben.
    Sie schnippte das Streichholz fort und stieß aus geschürzten Lippen Rauch hervor. Dann sah sie mich an, als habe sie in der Zwischenzeit vergessen, daß ich da war. Ihre Augen konnte ich durch die dunklen, spiegelnden Gläser ihrer Sonnenbrille nicht erkennen.
    »Wohnen Sie hier in der Gegend?« fragte sie.
    »M-hm.« Ich wollte in die Richtung unseres Hauses zeigen, aber ich hatte auf dem Weg hierher so oft die Richtung gewechselt, daß ich nicht mehr genau wußte, wo ich war; also deutete ich schließlich aufs Geratewohl. »Ich suche meine Katze«, erklärte ich und wischte mir eine verschwitzte Handfläche an der Hose ab. »Sie ist seit einer Woche verschwunden. Jemand hat sie irgendwo hier gesehen.«
    »Was ist das für eine Katze?«
    »Ein großer Kater. Braun getigert. Schwanzspitze leicht gebogen.«
    »Name?«
    »Noboru. Noboru Wataya.«
    »Nein, nicht Ihr Name. Der vom Kater.«
    »Das ist der Name meines Katers.«
    »Ah! Sehr eindrucksvoll!«
    »Na ja, also eigentlich ist das der Name meines Schwagers. Der Kater erinnert uns irgendwie an ihn. Wir haben den Kater nach ihm getauft, nur zum Spaß.«
    »Inwiefern erinnert Sie der Kater an ihn?«
    »Ich weiß nicht. Nur so im allgemeinen. Seine Art zu gehen. Und er hat so einen ausdruckslosen Blick.«
    Jetzt lächelte sie zum erstenmal, wodurch sie ein ganzes Stück kindlicher aussah, als sie anfangs gewirkt hatte. Sie konnte nicht älter als fünfzehn oder sechzehn sein. Durch ihre leichte Kräuselung beschrieb ihre Oberlippe eine seltsame Aufwärtskurve. Mir war, als hörte ich eine Stimme, »Berühren Sie mich« - die Stimme der Frau am Telefon. Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
    »Ein braun getigerter Kater mit gebogenem Schwanz«, sagte das Mädchen. »Hmm. Hat er ein Halsband oder so?«
    »Ein schwarzes Flohhalsband.«
    Sie stand zehn oder fünfzehn Sekunden nachdenklich da, die Hand noch immer auf das Gartentor gestützt. Dann ließ sie die halb gerauchte Zigarette fallen und zertrat sie unter ihrer Sandale.
    »Vielleicht habe ich wirklich eine solche Katze gesehen«, sagte sie. »Ob sie einen gebogenen Schwanz hatte, weiß ich nicht, aber es war eine braune Tigerkatze, groß, und ich glaube, sie hatte ein Halsband.«
    »Wann hast du sie gesehen?«
    »Ja, wann habe ich sie gesehen? Hmm. Höchstens drei, vier Tage her. Unser Garten ist so eine Art Durchgangsstraße für die Katzen der Umgegend. Sie ziehen hier alle durch, von den Takitanis rüber zu den Miyawakis.« Sie deutete auf das unbewohnte Haus, wo der steinerne Vogel noch immer seine Flügel ausbreitete, die hochaufgeschossene Goldraute noch immer die Frühsommersonne einfing und die Taube auf der Fernsehantenne noch immer monoton vor sich hin gurrte.
    »Ich hab eine Idee«, sagte sie. »Warum warten Sie nicht hier? Alle Katzen kommen früher oder später auf dem Weg zu den Miyawakis bei uns durch. Und wenn jemand Sie hier so herumlungern sieht, ruft er bestimmt noch die Bullen. Wär nicht das erste Mal.« Ich zögerte.
    »Keine Sorge«, sagte sie. »Außer mir ist niemand da. Wir können uns in die Sonne setzen und zusammen darauf warten, daß der Kater aufkreuzt. Ich werde Ihnen helfen. Ich hab ausgezeichnete Augen.«
    Ich sah auf meine Uhr. Zwei Uhr sechsundzwanzig. Das einzige, was ich bis zum Dunkelwerden noch zu erledigen hatte, war, die Wäsche hereinzuholen und das Abendessen vorzubereiten.
    Ich ging durch das Tor hinein und folgte dem Mädchen über den Rasen. Sie zog das rechte Bein leicht nach. Sie machte ein paar Schritte, blieb stehen und drehte sich nach mir um.
    »Ich bin von einem Motorrad hinten aus dem Sattel geworfen worden«, sagte sie, als sei es kaum der Rede wert.
    Dort, wo der
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