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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
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Hemden gebügelt.« Ich setzte mich und nahm den Hörer von der linken in die rechte Hand. »Was gibt’s?«
    »Kannst du dichten?« fragte sie. » Dichten? « Dichten? Meinte sie … dichten?
    »Ich kenne den Herausgeber einer Mädchenzeitschrift. Die suchen jemand, der aus den Gedichten, die die Leserinnen einsenden, welche für die Veröffentlichung auswählt und wenn nötig redigiert. Und sie wollen, daß der Betreffende jeden Monat selbst ein kurzes Gedicht für die Titelseite schreibt. Für einen so einfachen Job ist die Bezahlung nicht schlecht. Natürlich ist das keine Ganztagsbeschäftigung. Aber sie könnten noch etwas Redaktionsarbeit dazulegen, wenn der Betreffende -«
    »Einfach?« unterbrach ich sie. »He, Moment mal. Ich suche eine Stelle als Jurist, nicht als Lyriker.«
    »Ich dachte, auf der Oberschule hast du geschrieben.«
    »Klar, sicher, für die Schülerzeitung: welche Fußballmannschaft die Meisterschaft gewonnen hat oder daß der Physiklehrer die Treppe runtergefallen und im Krankenhaus gelandet ist - solche Sachen. Keine Gedichte. Ich kann nicht dichten.«
    »Schon klar, aber ich rede nicht von großer Dichtung, nur was für Oberschülerinnen. Es brauchen keine Meisterwerke dabei herauszukommen. Das könntest du mit links. Meinst du nicht auch?«
    »Schau, ich kann einfach keine Gedichte schreiben - weder mit links noch mit rechts. Das habe ich noch nie gemacht, und ich hab nicht vor, jetzt damit anzufangen.«
    »Na schön«, sagte Kumiko mit einem Anflug von Bedauern in der Stimme. »Aber es ist nicht leicht, was im juristischen Bereich zu finden.«
    »Ich weiß. Deswegen strecke ich ja auch meine sämtlichen Fühler aus. Ich müßte diese Woche eigentlich was erfahren. Wenn’s nichts wird, überlege ich mir, ob ich nicht etwas anderes tun sollte.«
    »Na ja, das war alles. Ach übrigens, was ist heute? Welcher Wochentag?« Ich dachte einen Augenblick nach und sagte: »Dienstag.«
    »Gehst du dann bei der Bank vorbei und zahlst die Gas- und Telefonrechnung?«
    »Klar. Ich wollte sowieso grad für heute abend einkaufen gehen.«
    »Was soll’s denn geben?«
    »Ich weiß noch nicht. Ich entscheide mich beim Einkaufen.« Sie schwieg kurz. »Wenn ich’s mir überlege«, sagte sie, auf einmal ernsthaft, »eilt’s gar nicht so sehr, daß du einen Job findest.«
    Darauf war ich nicht gefaßt gewesen. »Wieso nicht?« fragte ich. Hatte sich die weibliche Weltbevölkerung den heutigen Tag ausgesucht, um mich am Telefon zu verblüffen? »Früher oder später ist mit meinem Arbeitslosengeld Schluß. Ich kann nicht ewig weiter so rumhängen.«
    »Stimmt schon, aber mit meiner Gehaltserhöhung und gelegentlichen Nebenjobs und unseren Ersparnissen können wir prima zurechtkommen, wenn wir ein bißchen aufpassen. Es ist nicht wirklich dringend. Geht es dir auf die Nerven, daheim zu bleiben und die Hausarbeit zu erledigen? Ich meine, geht dir dieses Leben so gegen die Natur?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich aufrichtig. Ich wußte es wirklich nicht. »Na, dann denk ein bißchen darüber nach«, sagte sie. »Was anderes, ist der Kater inzwischen zurück?«
    Der Kater. Ich hatte den ganzen Vormittag nicht an ihn gedacht. »Nein«, sagte ich. »Noch nicht.«
    »Könntest du dich bitte ein wenig in der Nachbarschaft umsehen? Er ist jetzt seit über einer Woche weg.«
    Ich gab einen unverbindlichen Grunzlaut von mir und wechselte den Hörer wieder in die linke Hand. Sie fuhr fort:
    »Ich bin so gut wie sicher, daß er sich bei dem leerstehenden Haus am anderen Ende der Gasse herumtreibt. Dem mit der Vogelplastik im Garten. Ich hab ihn schon mehrmals da gesehen.«
    »Gasse? Seit wann gehst du auf die Gasse? Du hast nie ein Wort gesagt -«
    »O je! Ich muß weg. Haufen Arbeit zu erledigen. Denk an den Kater.« Sie legte auf. Wieder stand ich da und starrte den Hörer an. Dann legte ich ihn auf die Gabel zurück. Ich fragte mich, was Kumiko auf der Gasse zu suchen gehabt haben mochte.
    Um von unserem Haus da hinzukommen, mußte man über die Hohlblockmauer klettern. Und war das erst mal geschafft, hatte man überhaupt nichts davon, da zu sein.
    Ich holte mir in der Küche ein Glas Wasser und ging dann hinaus auf die Veranda, um nach dem Freßnapf zu sehen. Das Häufchen Sardinen war seit letzten Abend nicht angerührt worden. Nein, der Kater war nicht zurückgekehrt. Ich stand da und sah unseren kleinen Garten an, in den die frühsommerliche Sonne hereinflutete. Nicht, daß unser Garten einer von der Sorte
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