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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
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1
    D IENSTAGS-AUFZIEHVOGEL
    SECHS FINGER UND VIER BRÜSTE
     
    Als das Telefon klingelte, war ich in der Küche, wo ich einen Topf Spaghetti kochte und zu einer UKW-Übertragung der Ouvertüre von Rossinis Die diebische Elster pfiff, was die ideale Musik zum Pastakochen sein dürfte. Eigentlich wollte ich es klingeln lassen - nicht nur weil die Spaghetti fast fertig waren, sondern auch weil Claudio Abbado die Londoner Symphoniker gerade ihrem musikalischen Höhepunkt entgegenführte. Schließlich mußte ich aber nachgeben. Es hätte auch jemand sein können, der mir von einem möglichen Job erzählen wollte. Ich drehte die Flamme herunter, ging ins Wohnzimmer und hob ab.
    »Zehn Minuten, bitte«, sagte eine Frau am anderen Ende.
    Ich bin gut darin, Leute an der Stimme zu erkennen, aber diese kannte ich nicht.
    »Wie bitte? Wen wollten Sie sprechen?«
    » Sie natürlich. Zehn Minuten, bitte. Mehr brauchen wir nicht, um uns zu verstehen.« Ihre Stimme war tief und weich, aber ansonsten ohne besondere Kennzeichen.
    »Uns zu verstehen?«
    »Gefühlsmäßig.«
    Ich beugte mich vor und spähte durch die Küchentür. Der Nudeltopf dampfte munter vor sich hin, und Claudio Abbado dirigierte noch immer Die diebische Elster.
    »Tut mir leid, aber ich stecke gerade mitten im Spaghettikochen. Dürfte ich Sie bitten, später noch einmal anzurufen?«
    » Spaghetti? Was haben Sie morgens um halb elf Spaghetti zu kochen?«
    »Das geht Sie überhaupt nichts an«, sagte ich. » Ich entscheide, was ich esse und wann ich es esse.«
    »Da haben Sie natürlich recht. Ich ruf später noch einmal an«, sagte sie, und ihre Stimme klang jetzt kühl und ausdruckslos. Ein kleiner Stimmungswechsel kann bei einer Stimme wahre Wunder bewirken.
    »Moment noch«, sagte ich, bevor sie auflegen konnte. »Wenn das irgendein neuer Verkaufsgag ist, können Sie die Sache vergessen. Ich bin arbeitslos. Ich bin an nichts interessiert.«
    »Keine Sorge. Ich weiß.«
    »Sie wissen? Was wissen Sie?«
    »Daß Sie arbeitslos sind. Das ist mir bekannt. Also gehen Sie schon, lassen Sie Ihre kostbaren Spaghetti nicht warten.«
    »Wer zum Teufel -«
    Sie hängte ein.
    So ohne ein Ventil für meine Gefühle, starrte ich den Telefonhörer an, bis mir die Spaghetti wieder einfielen. Ich ging in die Küche zurück, drehte den Gasherd aus und goß den Inhalt des Topfes in ein Sieb. Dank des Anrufs waren die Spaghetti ein bißchen weicher als al dente, aber noch nicht unrettbar dahin. Ich fing an zu essen - und nachzudenken.
    Uns verstehen? Uns in zehn Minuten gefühlsmäßig verstehen? Wovon redete die eigentlich? Vielleicht war es nur ein Telefonjux. Oder eine neue Verkaufsmasche. Auf jeden Fall hatte es nichts mit mir zu tun.
    Nach dem Lunch legte ich mich wieder mit meinem Leihbücherei-Roman aufs Wohnzimmersofa und warf dem Telefon gelegentliche Seitenblicke zu. Was hätten wir in zehn Minuten voneinander verstehen sollen? Was können zwei Leute in zehn Minuten überhaupt voneinander verstehen? Bei näherer Überlegung schien sie sich, was diese zehn Minuten anging, bemerkenswert sicher gewesen zu sein: Es war das erste, was sie gesagt hatte. Als ob neun Minuten zu kurz und elf zu lang gewesen wären. Wie beim Spaghettikochen.
    Ich konnte mich nicht mehr aufs Lesen konzentrieren. Ich beschloß, statt dessen Hemden zu bügeln. Was ich immer tue, wenn ich unruhig bin; eine alte Gewohnheit. Ich unterteile die Arbeit in zwölf exakte Schritte, wobei ich mit dem Kragen (Außenseite) anfange und mit der linken Manschette ende. Die Reihenfolge ist immer dieselbe, und ich zähle mir die einzelnen Schritte vor. Andernfalls wird’s nicht richtig.
    Ich bügelte drei Hemden, untersuchte sie auf Kniffe und hängte sie auf. Als ich das Bügeleisen ausgeschaltet und zusammen mit dem Bügelbrett wieder in den Flurschrank geräumt hatte, sah es in mir schon bedeutend ordentlicher aus. Ich war auf dem Weg in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen, als wieder das Telefon klingelte. Ich zögerte einen Augenblick, beschloß dann aber abzunehmen. Wenn es dieselbe Frau war, würde ich ihr sagen, ich sei am Bügeln, und auflegen.
    Diesmal war es Kumiko. Die Wanduhr zeigte halb zwölf. »Wie geht’s?« fragte sie. »Gut«, sagte ich, erleichtert, die Stimme meiner Frau zu hören. »Was machst du so?«
    »Grad aufgehört zu bügeln.«
    »Ist was nicht in Ordnung?« Ihre Stimme klang leicht angespannt. Sie wußte, was es bedeutete, wenn ich bügelte.
    »Nein, nichts. Ich hab nur ein paar
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